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Ostafrikanische Riesenschnecken: ein ausgefallenes Haustier

Schnecken statt Hamster. Für Carola Hebentanz und ihre Familie sind die Achatschnecken lieb gewonnene Haustiere. Die Haltung der Schnecken erfordert allerdings umfassende Kenntnisse. Foto: Sabine Raithel

Schnecken statt Hamster. Für Carola Hebentanz und ihre Familie sind die Achatschnecken lieb gewonnene Haustiere. Die Haltung der Schnecken erfordert allerdings umfassende Kenntnisse. Foto: Sabine Raithel

Goldhamster und Meerschweinchen waren gestern. Wer in Sachen „Haustier“ voll im Trend liegen will, der hält sich Liebespfeil abschießende Hermaphroditen.

Die Kinder haben ihnen afrikanische Namen gegeben. Sie heißen jetzt Laina-Abiola, Elani, Sitina, Kumani, Najuma, Fayola, Niara sowie Jala-Mojo und sind ca. drei Monate alt. Wenn die zwölfjährige Johanna oder deren zehnjährige Schwester Helena die Hand ausstrecken, dann passen sie gerade mal so drauf. Mit einem halben Jahr sind sie ausgewachsen. Dann haben die possierlichen Tierchen eine Gehäuselänge von ca. 20 cm und eine Körperlänge von bis zu 30 cm: Achatschnecken, lateinisch Achatina Fulica oder auch Ostafrikanische Riesenschnecken genannt, gehören zu den größten Landschnecken der Welt. Kosmetikfirmen dienen sie als Rohstofflieferant für Anti-Aging-Cremes, andere bevorzugen die Mollusken wahlweise in Weißwein- oder Tomatensauce, dem Münchener Modemacher Patrick Mohr sind sie „Gegenstand der Inspiration“ und wieder andere, wie Familie Hebentanz aus Wickendorf im Landkreis Kronach, halten sich die bizarren Wesen als Haustier. Acht Exemplare hat Familie Hebentanz in einem großen Terrarium untergebracht. Mutter Carola hat, mit viel Liebe, eine kleine terrassenförmige Landschaft mit Nischen und Versteckmöglichkeiten, mit Wasserfall, „Badewanne“, Wurzel-Hölzern, Erde und eingepflanztem Salatkopf gebaut. Achatschnecken lieben es feucht-warm, schließlich stammen sie ursprünglich von der ostafrikanischen Küste bzw. aus tropischen bzw. subtropischen Regionen.
Carola Hebentanz ist im Hauptberuf Förderlehrerin an einer Grundschule in Rödental, sie ist aber auch Kräuterführerin, Phytotherapeutin, passionierte Naturforscherin und Tierschützerin. Warum sie ausgerechnet nun ihr Herz an Schnecken verloren hat, mag man sich fragen. Beim Gedanken an die glitschigen Weichtiere drängen sich zwangsläufig Assoziationen wie „schleimig“ oder „langsam“ und damit „waaaahnsinnig langweilig“ auf. Carola Hebentanz aber weiß: „Gerade in einer Zeit, in der sich die Uhr immer schneller dreht, in der Menschen von Maschinen und elektronischen Systemen getrieben und Kinder – wie auch Erwachsene – durch permanente Reizüberflutung krank werden, da tut Langsamkeit gut.“
„Diese Schnecken haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten“, so die Tierfreundin. „Deshalb sollte man sie auch niemals alleine halten. Sie brauchen die Gruppe. Sie fressen und schmusen miteinander. Wenn sie schlafen, dann schmiegen sie sich ganz eng, Körper an Körper. Man muss sie eine Zeit lang beobachten, dann stellt man fest, dass jede ein eigenes Wesen, einen abgrenzbaren Charakter und Eigenarten hat. Manche sind regelrechte Mimosen – andere eher Draufgänger. Und sie sind auch nicht unangenehm schleimig“, sagt Carola Hebentanz und krault – quasi zum Beweis – einer Schnecke den Rücken. Die streckt sich genussvoll dem Finger entgegen und scheint gar nicht genug zu bekommen. Von Scheu keine Spur. Dann nimmt Carola Hebentanz etwas Trockenfutter in die Hand und Schnecke Najuma, deren Name so etwas bedeutet wie „große Freude“, scheint erst mal vorsichtig zu verkosten und mümmelt schließlich zufrieden vor sich hin. Ziehmama Carola ist begeistert: „Mich fasziniert diese Behutsamkeit der Schnecken, das Liebevolle, Friedfertige und Einträchtige.“ Insbesondere für Kinder ist das große Verhaltensrepertoire, das doch relativ zügige Vorwärtsbewegen, das Vielfressen, das Paaren und Baden der Schnecken faszinierend. Natürlich sind Achatschnecken keine Kuscheltiere im klassischen Sinn – aber das sind Hamster und Meerschweinchen eigentlich auch nicht.
Wissenschaftlich gesehen gibt es bei Schnecken noch viel zu entdecken. Die Schar derer, die sich mit Mollusken beschäftigen, ist überschaubar. Einer, der sich als „Schneckenpapst“ einen Namen gemacht hat, ist Klaus Kittel aus Wiesthal. Mehr als 10.000 Schnecken hat der frühere Lehrer gehalten, beobachtet und erforscht. Er hat Bücher darüber geschrieben, den Club „Conchylia“ mit ins Leben gerufen und 2002 die erste internationale Schnecken- und Muschelbörse in Lohr organisiert. Auch er hat Erfahrung mit Achatschnecken. Seine Frau und er hatten sich vor Jahren mehrere Exemplare aus Togo mitgebracht. Die älteste wurde 13 Jahre alt und hieß Ludmilla.

Achatschnecken sind überaus soziale Wesen - und sie lieben es, zu schmusen.  Foto: Sabine Raithel

Achatschnecken sind überaus soziale Wesen – und sie lieben es, zu schmusen.  Foto: Sabine Raithel

Doch vor allzu viel Euphorie sei gewarnt: Wenn die Schnecken geschlechtsreif sind, können sie Gelege mit bis zu 400 Eiern produzieren. Carola Hebentanz: „Diese dürfen nicht in die freie Natur gelangen! Deshalb ist es immens wichtig, dass man das Terrarium wöchentlich auf Gelege durchsucht und diese zuverlässig vernichtet. Sonst wird man der Nachkommenschaft nicht mehr Herr.“ Import und Haltung der gefräßigen Weichtiere sind deshalb in manchen Ländern, zum Beispiel in den USA und einigen europäischen Staaten, strengstens verboten.
Schnecken mögen Sex. Häufig und ausgiebig. Sie sind Hermaphroditen, Zwitter. Sie besitzen sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsteile. Die befinden sich hinter dem Kopf. Beim Vorspiel sind die Schnecken ausgesprochen ausdauernd. Die Weichtiere stehen auf Streicheleinheiten, minutenlanges Sich-Umschlingen, körperliche Nähe in den unterschiedlichsten Stellungen. Bis es dann richtig zur Sache geht, können Stunden vergehen.
Sex unter Zwittern ist nicht unkompliziert. Einige Schneckenarten, wie die heimische Weinbergschnecke Helix pomatia bereichern ihr Liebesspiel – stellvertretend für Amor – durch das Abschießen eines Liebespfeils. Das Tier, das den männlichen Part einnimmt, stößt vor der eigentlichen Paarung ein hartes, speerartiges Geschoss aus einem kalkhaltigen Material in den Körper des anderen. Dieser Liebespfeil bewirkt, dass die weiblichen Fortpflanzungsorgane empfänglicher für die Spermien des Partners werden. Erst nachdem der Pfeil abgeschossen wurde, kommt es zum eigentlichen Geschlechtsverkehr. Wer sagt jetzt noch, dass Schnecken langweilig wären?
Hobby-Schneckenforscherin Carola Hebentanz empfiehlt als Einsteiger-Haustier heimische Schneckenarten: „Der Vorteil: Man kann erst einmal einen Sommer lang die Tiere halten und diese dann im Herbst wieder auswildern. Das ist vor allem für Kinder prima. Sie haben nicht gleich Verantwortung für viele Jahre. Außerdem benötigt man für die heimischen Arten keine aufwendige Terrarien-Technik, weil diese Schnecken mit unseren Temperaturen klarkommen.“
Wen wundert’s also, dass sich Schnecken wachsender Beliebtheit erfreuen? Sie machen keinen Lärm, sind pflegeleicht und langlebig. Sie sind für Allergiker optimal und gut für die Nerven: Ihre langsamen Bewegungen haben fast schon hypnotische Wirkung, die deutlich entspannt. Insbesondere Achatschnecken sind zutraulich und kriechen angenehm langsam über die Haut, ohne dabei viel Schleim zu hinterlassen. Sie reagieren auf Berührungen und scheuen keinen Körperkontakt. Und wer mag, der lässt sich im Sinne der Schönheit einen Riesen-Mollusken über das Gesicht gleiten. Helix aspersa muller glycoconjugates (kurz: Schneckenschleim) ist ein wahrer Jungbrunnen und enthält zahlreiche Nährstoffe und Antioxidantien. In Tokio zahlen Beautyjunkies rund 200 Dollar für eine viertelstündige Schneckenmassage im Gesicht. Oder besser: Man zollt den putzigen Bauchfüßlern den nötigen Respekt und belässt es bei der Beobachtung dieser bemerkenswerten Wesen.  Sabine Raithel

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