Einen Interview-Termin mit Fabian Riemen zu finden ist gar nicht so einfach. Der 30-Jährige ist vielbeschäftigt: seit Ende 2015 hauptsächlich mit dem Master-Studiengang „Philosophie und Künste interkulturell“ in Hildesheim. Und mit seinen Musikprojekten „Jedermann“ und „Rambacher und Riemen“. Und mit seinem Gastengagement am Theater Hof als Schauspieler im Jugendstück „321 Exit“. Und mit seinem Gedichtband „So wie jener lebt und jener nicht“, der Mitte November erschienen ist.
Ist aber ein Termin gefunden und man sitzt mit ihm zum Gespräch zusammen, gehört Fabian Riemens komplette Aufmerksamkeit seinem Gegenüber. Mit echtem Interesse und ohne müde zu werden schaut er einem während des Gesprächs in die Augen und strahlt aus: In diesem Moment ist für mich allein dieses Interview wichtig; mich interessieren die Fragen – und der Mensch, der sie stellt.
Vielleicht ist es genau diese Art, sich komplett auf sein Gegenüber einzulassen und ihm dadurch ein Maximum an Wertschätzung zu vermitteln, die Fabian Riemen so erfolgreich und beliebt macht. Aufgewachsen in einer Regnitzlosauer Großfamilie hat es ihn nach seiner Schulzeit am Jean-Paul-Gymnasium, der Realschule Selb und dem allgemeinen Abitur an der FOS als Zivildienstleistenden quasi durch Zufall ans TPZ in Hof verschlagen. „Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich immer eher einen Bogen um Menschen mit Behinderung gemacht“, bekennt er. Doch hat ihn die Arbeit mit eben jenen Menschen im Folgenden nicht nur veranlasst, die Theatergruppe „Pink Pong“ von Klaus Heinritz zu übernehmen, sondern später sogar Pädagogik und Sonderpädagogik mit Menschen für Behinderung zu studieren und für viereinhalb Jahre im Würzburger Theater Augenblick (ebenfalls mit behinderten Menschen) zu arbeiten.
Dabei ist es Fabian Riemen wichtig, nicht einfach von „Behinderten“ zu sprechen, denn unterschiedliche Formen von Behinderung haben ganz unterschiedlichen Einfluss auf die Menschen. „Menschen mit Trisomie 21 sind teilweise zum Beispiel sehr stark auf der Gefühlsebene, habe eine ungeheure Empathie und nehmen viel mehr wahr. Dadurch sind mit Menschen mit Behinderung auf der Bühne ganz andere, unglaublich ergreifende Dinge möglich“, so der Pädagoge, der selbst schon seit seiner Kindheit im Theater Hof auf der Bühne stand. Der Begriff „Behinderung“ allein unterschlägt all das, denn, so Fabian Riemen: „Begriffe sind Sinnverkürzungsphänomene.“
Da er aber trotzdem von sich selbst sagt, begrifflich zu denken, und er bestimmten Strukturen und Begrifflichkeiten im Umfeld von Kunst und Philosophie auf den Grund gehen möchte, hat er im September 2015 nach einem Sabbat-Jahr ein Studium in Hildesheim aufgenommen, das Geisteswissenschaft, Kunst, Kultur und Film miteinander verbindet. Im Rahmen dieses Master-Studiums erforscht er nun das „Automatische Schreiben“ – nicht zuletzt angetrieben von ganz persönlichem Interesse: „Meine Lieder und Gedichte entstehen alle in einem Zustand, der mir nicht genau bewusst ist. Das sind Phasen, in denen ich mich langweile, der Übergang vom Tag zur Nacht – oder wenn zu wenig Kaffee da ist!“, erzählt Fabian Riemen.
In anderen Kulturen kennt und benennt man diesen Zustand; er selbst hat ihn für sich kultiviert. Aber es fehlt dafür in Deutschland nicht nur der Begriff, sondern auf weitem Feld auch das Verständnis. „Dem automatischen Schreiben haftet bei uns immer so ein esoterischer Touch an, dabei erzählen viele Schreiber, wenn man sie danach fragt, dass auch sie diesen fast unbewussten Zustand kennen und zum Schreiben nutzen. Ich erforsche dieses Phänomen, weil ich das, was ich mache, auch mal benennen können möchte, ohne als Esoteriker zu gelten!“
Denn obwohl der Musiker, Literat, Schauspieler, Pädagoge, Filmproduzent und Philosoph sich sehr viele Gedanken über die Welt, seine Mitmenschen und sein eigenes Dasein macht, alles reflektiert und hinterfragt, sprudeln aus ihm Songs und Texte heraus, die alles andere sind als esoterisch – sicherlich als Folge der Bodenständigkeit, die er aus der Großfamilie mitgenommen hat: „Mein Onkel hat immer gesagt, dass man jeden Tag mindestens eine Stunde an der frischen Luft arbeiten soll – und das stimmt!“, so der Künstler. Auch spielt er „lausig, aber begeistert“ Fußball, wie er von sich selbst sagt. „Und ich springe am liebsten in der 60. Minute ein, wenn meine Mannschaft 3:1 zurückliegt!“, bekennt er mit einem Schmunzeln. Fabian Riemen liebt die große Herausforderung, läuft in Extremsituationen zu Hochform auf.
Mitte November erschien sein Lyrikband „So wie jener lebt und jener nicht“. Genau wie in seinen Songtexten hält Fabian Riemen in kurzen und längeren Gedichten des frisch-fantasievoll von Katerina Kalaceva illustrierten Bändchens mit ganz persönlichen Gedanken nicht hinterm Berg: im Gewand witzig-gereimter Gedichte, die fast an die Verse von Joachim Ringelnatz erinnern. Wie er verpackt auch Fabian Riemen die ihn beschäftigenden Themen, die von Walfang über Polygamie bis hin zur Auszeit in den Bergen reichen, in der gesamten ersten Hälfte des Büchleins in beinahe naiv anmutenden, fabelhaften Tier-Gedichte, bevor er im zweiten Teil über „Menschen und anderes“ in längeren, nachdenklicheren Formen schreibt.
„Die Tiere sind am Anfang, vor fast zehn Jahren, einfach aufgetaucht und ich habe mit riesen Lust angefangen zu schreiben“, erinnert sich der Poet, der es versteht, Tiefgründiges in ganz leichte Gedichte zu kleiden. „Oft fragen mich die Leser oder Zuhörer: In dem Gedicht geht es doch um dies oder jenes, oder? Aber die Themen sind mir oft selbst nicht klar!“, erzählt Fabian Riemen. Da er auch seine Gedichte im oben beschriebenen halbbewussten Zustand schreibt, drängen sich dem Schreiber selbst oft erst im Nachhinein, beim erneuten Lesen Fragen auf, die Sinn und Inhalt betreffen. Nicht er sagt etwas aus, sondern die Texte selbst, erklärt der Dichter. „Aber es beglückt mich, etwas geschaffen zu haben, womit andere etwas verbinden können“, sagt Fabian Riemen – und lässt auch nach einer guten Stunde Gespräch weder in der Intensität seiner Antworten, noch im Interesse für sein fragendes Gegenüber nach. Christine Wild
Erhältlich ist der 80 Seiten starke Gedichtband „So wie jener lebt und jener nicht“ (ISBN 978-3-00-060995-4) im Buchhandel und direkt bei Fabian Riemen unter www.fabian-riemen.de zum Preis von 12,— Euro.