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Theater- und Krimiautor und Talkmaster: Roland Spranger

„Du kannst das Leergut haben“, stöhnt der Flaschensammler. Max steht auf und tritt ihm mit voller Kraft in die Rippen. „Dir ist wohl nichts peinlich, du Hodenkopf“, sagt Max verächtlich. Max tritt noch einmal. Zweimal. Er hebt leere Plastikflaschen vom Waldboden auf und bewirft damit den weinenden Mann. „Tschüs, du Made.“ Genüsslich holt er zu einem abschließenden Tritt aus. Volltreffer. Mitten in Helmut hinein. Max geht durch den Wald zurück. Schön, wenn das Wimmern leiser wird. So ein Opfer. Eigentlich zu viel Zeit investiert, aber die scheiß Wut muss raus. Muss wohin. Braucht ein Ventil. Schön, aus dem Wald zu treten und in eine verschneite Landschaft zu gehen wie in ein Landschaftsgemälde.

Drogendealer Max wirft vor einer Polizeikontrolle die frisch aus Tschechien abgeholte Crystal Meth-Lieferung aus dem Autofenster. Einen Flaschensammler, den Max für den unrechtmäßigen Finder hält, räumt er so spontan wie erbarmungslos-brutal aus dem Weg. Nachdem der Dealer ihn von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn gestoßen hat, wird nie jemand ermitteln, was im Fall des vermeintlichen Penner-Selbstmords wirklich geschehen ist. Auch nicht Sascha, ein erfolgloser Video-Journalist, der sogar über den Fall berichtet. Allerdings kommt Sascha Max auf die Spur, worin er die Chance zu seinem beruflichen Durchbruch wittert. Doch ergeht es ihm wie allen Figuren in Roland Sprangers aktuellem, deutschlandweit gefeierten Kriminalroman „Tiefenscharf“: Er ist ein Verlierer, hat zu große Pläne, trifft die falschen Entscheidungen und bewegt sich immer mehr in Richtung Katastrophe.
„Im Gegensatz zu vielen anderen Krimis ist bei „Tiefenscharf“ am Anfang die Welt nicht in Ordnung – und am Ende auch nicht. Die Verbrechen werden nicht aufgeklärt, manche nicht mal wahrgenommen“, sagt der Hofer Autor Roland Spranger über sein Erfolgs-Werk. Einen sehr dunklen Krimi wollte er vor gut zweieinhalb Jahren schreiben, „und er wurde mit jeder Überarbeitung düsterer, immer mehr Menschen sind gestorben“, erzählt der Autor.
Die Härte und Erbarmungslosigkeit seines Anfang März erschienenen Kriminalromans, mit dem er es im April sogar auf Platz 7 der angesehenen Krimi-Bestenliste von Deutschlandfunk Kultur und Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung geschafft hat, gründet nicht zuletzt darauf, dass Roland Spranger Gewalt und Brutalität schnell und überraschend einsetzt. „Im Vergleich zu anderen Krimis passiert die Gewalt nebenbei“, so der Autor, der 2012 für seinen ersten Kriminalroman „Kriegsgebiete“ gleich mit dem Glauser-Preis in der Kategorie Roman ausgezeichnet und daraufhin selbst in die Jury berufen wurde.
Doch lief es nicht immer so gut für den dreifachen Familienvater, der im Brotberuf 31 Stunden pro Woche das ambulant unterstützte Wohnen der Lebenshilfe in Hof leitet: Nach ersten Texten und Liebesgedichten als Teenager hat der heute 55-Jährige in seinen 20ern während und nach der Ausbildung als Erzieher nichts geschrieben, sondern „nur gelebt“, wie er schmunzelnd erzählt. Und Theater gespielt; hat 1987 seine eigene Off-Theatergruppe „Larpurlahr“ gegründet – und sich 2002 schließlich zwischen Theater und Schreiben für Letzteres entschieden. Nach einer langen Durststrecke wurde er 1998 zu den Autoren-Theatertagen nach Hannover eingeladen, „und dann konnte ich plötzlich zwischen drei Theaterverlagen wählen, die alle mein Stück „Tiefseefischer“ drucken wollten!“, schmunzelt der Autor.
Viele Theater in ganz Deutschland führen in der Folgezeit immer wieder seine Stücke auf, 2002 erscheint Sprangers erster Roman „Thrax“. Doch tut sich nach der Insolvenz des Verlags erneut erst mal jahrelang nichts, bis 2012 „Kriegsgebiete“ erscheint − und direkt mit dem Glauser-Preis ausgezeichnet wird. „Seitdem habe ich immer viele Schreib-Aufträge: Klassenzimmer- und andere Theaterstücke (unter anderem auch „Hungerleider“ und „Work“ für das Theater Hof), Kurzgeschichten, und 2013 ist mein dritter Roman „Elementarschaden“ herausgekommen“, berichtet der gefragte Autor.
Im Anschluss daran hat Roland Spranger die Idee, einen sehr düsteren Krimi zu schreiben. Recherchen bei einem Notarzt, der Polizei und einer Beratungsstelle zu einem Klassenzimmerstück über Kräuterdrogen, aber auch eine seiner eigenen Kurzgeschichten über den tödlichen Autounfall eines jungen Paars, das Chrystal Meth aus Tschechien holen möchte, inspirieren ihn zu „Tiefenscharf“. „Ich habe mich gefragt: Wie wäre es mit den beiden weitergegangen, wenn sie nicht gestorben wären?“ – und schon hat er den Ausgangpunkt für seinen neuen Kriminalroman.
Im Gegensatz zu vielen anderen Krimi-Autoren konstruiert Roland Spranger die Dramaturgie seiner Geschichten nicht nach einem starren Fahrplan oder gar mithilfe eines Computer-Programms, sondern entwickelt sie aus den Charakteren heraus. Viel Recherche und großes Interesse an den Verhaltensweisen seiner Mitmenschen sind Gründe dafür, dass seine Protagonisten extrem vielschichtig und authentisch daherkommen. „Ich kenne zum Beispiel jemanden, der als Türsteher gearbeitet hat; von dem konnte ich viel für Carsten abschauen. Und dann habe ich zig YouTube-Videos von Video-Bloggern geschaut, um zu verstehen, wie sie ticken, sich einrichten“, verrät Roland Spranger. Dass er genau hinschaut, merkt man auch Video-Bloggerin Alina an, in deren Person er sozialkritisch Bezug nimmt auf den aktuellen Zeitgeist. „Von einem guten Kriminalroman kann man auch erwarten, dass man etwas über die Gesellschaft erfährt“, findet der Autor.
Durch das genaue Hinschauen gelingt es ihm außerdem, eine weitere Intention perfekt umzusetzen: „Ich schreibe gern so, als wäre ein Dokumentar-Journalist mit der Kamera ganz nah dran“, so Roland Spranger. Mit der fiktiven Kamera hält er gnadenlos drauf – sei es im Alltag mit seinen zwischenmenschlichen Höhen und Tiefen, bei rohen Gewaltverbrechen oder beim Sex. Immer trifft er dabei genau den richtigen Ton, meist mit fast brutal wirkend kurzen Sätzen in schonungslos direktem schicht- und milieuspezifischem Jargon – und der unverzichtbaren Prise trockenen Humors. „Ich stehe nicht auf Rumgeeier!“, sagt Spranger.
Als bekennender Musik-Liebhaber kreiert er außerdem einen ganz individuellen Soundtrack aus musikalischen Zitaten für seinen Roman. Und er sucht unverbrauchte, starke Bilder, die in jeder Kleinstadt zu finden sein könnten, von denen aber der Hofer Leser viele in seiner Heimatstadt verorten kann. Absicht oder Zufall? „Wenn ich James Joyce wäre, würde ich Bilder aus Dublin nutzen!“, antwortet Roland Spranger mit einem Augenzwinkern. Aber der Ort an sich spielt für ihn keine Rolle, denn er möchte keinen klischeebeladenen Regio-Krimi schreiben, sondern Atmosphäre schaffen; ein Feeling, wie er sagt. Aus diesem Gemisch aus Sprache, Musik und starken Bildern entsteht eine unbarmherzig-brutal-pragmatische Sinnlichkeit, die einen als Leser herausfordert und fesselt; hineinreißt in einen Strudel, dem man sich beim atemlosen Verschlingen des Kriminalromans kaum entziehen kann.
Dieses magnetisierende Gemisch ist sicherlich ausschlaggebend dafür, dass Wolfgang Franßen vom Polar Verlag „Tiefenscharf“ in sein anspruchsvolles Programm aufgenommen hat. Abgesehen von zwei deutschen Büchern ganz zu Beginn sind dort bisher nur Übersetzungen, vor allem aus dem Amerikanischen und Französischen, woher die Gattung „Polar/Noir“ eigentlich kommt, erschienen. Die 3000 Exemplare der ersten Auflage sind bereits vergriffen, und auch die zweite findet reißenden Absatz.
Wer Roland Spranger live erleben will, hat dazu immer wieder Gelegenheit bei seiner Live-Talkshow „Gwaaf zer Nacht“ mit Gästen aus der Region im Kunstkaufhaus, wo er einem genau wie im Galeriehaus auch außerhalb von Veranstaltungen an dem ein oder anderen Abend über den Weg läuft. Weitere Informationen und Links zu den zahlreichen Rezensionen an prominenter Stelle unter www.roland-spranger.de.  Christine Wild

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