
Die IG Bau aus Berg in der Oberpfalz war eine der Busgruppen, die Heiko Ultsch zuletzt durch das Deutsch-deutsche Museum Mödlareuth führte. Reise-Organisatorin Elfriede Lehmeier (links) war über Empfehlungen auf das Museum aufmerksam geworden.
Dass der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober für viele Menschen mehr ist als ein bloßer Feiertag, zeigt sich an den Besucherzahlen im deutsch-deutschen Museum Mödlareuth. „An diesem Tag und vor allem am jeweils folgenden Wochenende ist bei uns so richtig viel los“, erzählt Heiko Ultsch (36), einer der Gruppenführer im Museum. Besucherzahlen von bis zu 90.000 im Jahr zeigen ganz grundsätzlich das Interesse an der jüngeren deutschen Geschichte.
Wie die meisten Museen, so bietet auch das in Mödlareuth die Möglichkeit, die Ausstellung in Begleitung kundiger Führer zu erleben. „Das macht Sinn, denn viele Besucher haben gar nicht die Zeit, alle Informationstafeln zu lesen“, sagt Heiko Ultsch. „Und aus unserer Sicht können wir die Gäste dabei mit Themenschwerpunkten vertraut machen, die bei einem Einzelrundgang vielleicht keine so große Beachtung finden würden.“
Heiko Ultsch, gebürtiger Hofer und studierter Volkskundler, absolvierte 2003 ein Praktikum im deutsch-deutschen Museum und „blieb danach hängen“, wie er schmunzelnd erzählt. An die Grenzöffnung 1989, die er als Achtjähriger miterlebte, kann er sich noch erinnern. „Aber ich habe natürlich die Bedeutung noch nicht so erfasst“, weiß er heute. „Unsere Region rückte damals ins Herz von Europa.“ Indem er bei seinen Führungen die Geschichte der Teilung und der Wiedervereinigung am Beispiel von Mödlareuth nachvollzieht, will Heiko Ultsch diesen „Quantensprung“ verdeutlichen. Außerdem geht es ihm darum, den schwammigen Begriff „Unrechtsstaat“ durch konkrete Beispiele erlebbar zu machen.
Die kurzweilige Führung gliedert sich in drei Schwerpunkte: einen Einführungsvortrag über die Geschichte Mödlareuths und die Hintergründe der deutschen Teilung, einen Kurzfilm von Museumsgründer Arndt Schaffner und einen Rundgang über das Freigelände mit den Grenzzaunrelikten. Teils verblüffende Details über das kleine Dorf im Norden von Hof sind es, die auch einheimische Gäste immer wieder überraschen.
Wer weiß denn schon, dass in Mödlareuth früher eine einheitliche, aber einzigartige Dialektmischung aus thüringisch und fränkisch gesprochen wurde, die dann mit der Teilung unterging? Wer weiß noch von den Absurditäten mit Beginn der Spaltung Anfang der 1950er Jahre bis hin zum Verbot, der eigenen Verwandtschaft in der anderen Hälfte zuzuwinken? Und wer hätte gedacht, dass Mödlareuth bereits mit einem Bretterzaun verrammelt war, als man in Berlin noch durchs Brandenburger Tor fahren konnte?
Aus Kopfschütteln wird dann im Laufe der Führung tiefe Betroffenheit, wenn Heiko Ultsch an stacheldrahtstrotzenden Zäunen und im Schatten klobiger Wachtürme die perfide Raffinesse des DDR-Grenzregimes erläutert. Durch ein lückenloses Überwachungssystem mit elektronischen Alarmanlagen, Hunden und Minen wurde eine Flucht nahezu unmöglich. Und wer es doch wagte, wurde mit zerfetzten Beinen sterbend liegen gelassen. Dieses besonders tragische Beispiel eines stundenlang nach Hilfe schreienden Opfers vergisst wohl niemand jemals mehr, der eine Führung durch das Museum mitmacht.
Dass Heiko Ultsch kein Detail des mörderischen Irrsinns an der einstigen Grenze verschweigt, hat auch damit zu tun, dass er einer gewissen Verklärung der Vergangenheit entgegentreten will, die ihm bei seinen Führungen immer wieder begegnet. In den Gruppen seien nicht nur DDR-Nostalgiker dabei, die den Mauerstaat nie kennengelernt hätten, sondern auch ehemalige Grenzer, die es eigentlich ganz genau wissen müssten: „Aber die Leute erinnern sich nicht immer richtig oder wollen es gar nicht mehr wissen“, sagt er.
Umgekehrt will Heiko Ultsch aber auch unrichtigen Gruselgeschichten mit Fakten begegnen: „Wer damals als Wehrpflichtiger an der Grenze nicht auf Flüchtlinge schießen wollte oder absichtlich danebengeschossen hat, ist nicht etwa im Gefängnis verschwunden“, klärt er auf. Die Grenzsoldaten seien dann nur versetzt worden und hätten nach ihrer Militärzeit ein für DDR-Verhältnisse normales Leben führen können.
Die Normalität im Schatten des Unnormalen, mit diesem Thema leitet Heiko Ultsch sein Publikum am Ende der Führung zurück in die Gegenwart. Denn während der Teilung hätten die Menschen in Mödlareuth bei allem Schrecken auf jeweils ihre Weise zumeist ein normales Leben geführt – denn sie kannten es ja nicht anders. Und auch die Touristenscharen, die damals auf westlicher Seite nach „Little Berlin“ strebten, hätten ihre Betroffenheit über die Sperranlagen spätestens bei der Einkehr danach wieder abgelegt. Mit diesem Wunsch entlässt Heiko Ultsch seine Gruppe dann auch in die Normalität ihrer gegenwärtigen Ausflugsfahrt: dass sie sich ihr Mittagessen von dem, was Sie hier gehört und gesehen haben, nicht verderben lassen sollten. Manfred Köhler
Die rund 1.000 Führungen, die das deutsch-deutsche Museum Mödlareuth im Jahr anbietet, spiegeln in ihrer Zusammensetzung einen Querschnitt der Gesellschaft, sagt Museumsleiter Robert Lebegern. Viele der Gäste kämen auch aus dem Ausland. Wer eine der Führungen durch das deutsch-deutsche Museum Mödlareuth mitmachen möchte, meldet sich bitte unter 09295/1334 oder info@museum-moedlareuth.de an. Herzlich willkommen sind Gruppen ebenso wie Individualgäste, gebeten wird nur um ein bis zwei Tage Vorlaufzeit.