Es piept, zirpt, summt und surrt, es duftet, brütet und blüht im Frankenwald. Die Teuschnitz-Aue im Landkreis Kronach ist eines der letzten, nahezu intakten Paradiese. Von Juni bis Juli blüht hier die Arnika. Aber Achtung: Pflücken ist streng verboten!
„Slow“ ist das Mantra gegen Action, Adrenalinkick, Hektik, Stress, Reizüberflutung und chronische Überforderung. „Slowtravelling“ ist eine Methode, um einen Gang herunterzuschalten. Die einen gehen dafür ins Kloster und üben sich entlang des Kreuzgangs im achtsamen Gehen − andere wandern durch die Natur. Sie finden ihre Seelenräume in Landschaften. Plätze, die gut tun, die erden und trotzdem dem Geist Flügel verleihen.
Die Teuschnitz-Aue gehört zu diesen ganz besonderen Kraftplätzen. Wenn man die Augen schließt, hört man nur das sanfte Rauschen der Bäume, Vogelstimmen oder das Summen einer Biene. Kein Autogeräusch, nichts, das an Zivilisation erinnert. Macht man die Augen auf, dann blickt man auf die bunte Palette der Natur. Das zirka 2.100 Hektar große Gebiet gehört zu dem vor rund 300 Millionen Jahren entstandenen „Alten Gebirge“. Die Hochflächen liegen 605 bis 650 Meter über dem Meeresspiegel. Auf engstem Raum bietet dieser unberührt wirkende Flecken Erde ein Rückzugsgebiet für viele vom Aussterben bedrohte Tier und Pflanzenarten. Hier findet man selten gewordene Vögel wie Bekassine, Wiesenpieper, Neuntöter, Blaukehlchen und Sperlingskauz, Falter, wie den Dukatenfalter und den Trauermantel oder auch die gut getarnte Zwitscherschrecke, eine der größten in Mitteleuropa vorkommenden Heuschrecken.

Carola Hebentanz ist das Teuschnitzer „Kräuterfraala“. Sie führt Besucher fachkundig durch die Teuschnitz Aue. Von ihr erfährt man, wie man die Arnika und die anderen Heilkräuter, die im Frankenwald wachsen, für Gesundheit und Wohlbefinden einsetzen kann.
Es lohnt sich, hier mit offenen Augen und achtsamen Schrittes Eindrücke zu sammeln. Auf den Wiesen blühen Rosen, Perückenflockenblumen, Margeriten, Kartäusernelken, Lichtnelken, Schlüsselblumen und seltene Orchideenarten. Man findet wertvolle und teils selten gewordene Kräuter und Heilpflanzen wie Ackerschachtelhalm, Bärwurz, Frauenmantel, Gänsefingerkraut, Goldrute, Heidelbeere, Huflattich, Johanniskraut, Kamille, Mädesüß, Rainfarn, Schafgarbe, Schlehdorn, Schwarzen Holunder, Spitzwegerich, Walderdbeere, Waldmeister, Weißdorn und Wiesenknöterich. Einmalig in Deutschland sind die großen, zusammenhängenden Flächen mit Arnika. Auf den sauren, kalkarmen Magerwiesen der Teuschnitz-Aue hat die als gefährdet eingestufte Art ideale Bedingungen.
Das war nicht immer so. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Arnika auch hier verschwunden wäre, startete im Jahr 1989 der Landschaftspflegeverband Frankenwald ein Pilotprojekt zur modellhaften Umsetzung des bayerischen Arten- und Biotopschutzprogrammes in der Teuschnitz-Aue.
Dietrich Förster ist Leiter des Naturparks Frankenwald und betreut das Projekt federführend: „Früher, bis zur Einführung des Traktors, gab es überall im Frankenwald Arnika-Wiesen“, erläutert der Diplom Biologe. „Mit der Mechanisierung, also zirka nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde früher gemäht, außerdem kamen zunehmend Gülle und Kunstdünger zum Einsatz. Das verträgt sich nicht mit der Arnika.“ Dietrich Förster konnte die Landwirte der Region überzeugen, die Wiesen erst nach der Arnika-Blüte, also ab Mitte Juli, zu mähen. Mit Erfolg. „Ein Monitoring in den Jahren 1990 bis 2000 ergab eine Verdreifachung des Vorkommens.“ Förster weiter: „Die Landwirte waren von der Artenvielfalt, die ihre Wiesen plötzlich auszeichnete, überzeugt. Einer sagte sogar: ,Die späte Mahd erspart mir den Viehdoktor.‘“ Verständlich, denn die Arnika, im Volksmund auch Wolfsblume oder Bergwohlverleih genannt, verfügt über ca. 150 medizinische Wirkstoffe. Sowohl die konventionelle Medizin, als auch die Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophie kennen die Pflanze als Heilmittel – für Mensch und Tier.
Nicht nur im Frankenwald besinnt man sich wieder auf die Heilkraft der Natur. Auch in angrenzenden Regionen, wie im Bayerischen Vogtland, rund um Hof, und auch im Fichtelgebirge müht man sich, die Arnika-Vorkommen wieder zu vermehren.
Dietrich Förster: „Arnika ordnet verletztes Gewebe und kann so dabei helfen, Entzündungen zu hemmen. Das macht sie zum Beispiel wertvoll bei stumpfen Verletzungen, bei Prellungen, Zerrungen und Muskelkater.“ Aber es gibt noch weitere Anwendungsgebiete, wie Dr. Johannes Wilkens, Ärztlicher Direktor der Bad Stebener Alexander von Humboldt Klinik und Arnika-Experte, weiß. Wilkens beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Arnika und hat ihr sogar seine Doktorarbeit gewidmet. „Interessant könnte Arnika bei inneren Blutungen und Multipler Sklerose sein. So gibt es positive Erfahrungen von einem Schlaganfall-Patienten mit dem entsprechenden homöopathischen Mittel und auch eine MS-Patientin berichtet von der Linderung der Beschwerden.“ Wilkens wünscht sich, dass die Wirkstoffe der Arnika weiter ergründet werden, um das vollständige Heilpotenzial der Pflanze offenzulegen.
Von Juni bis Juli blüht die Arnika leuchtend gelb in der Teuschnitz-Aue. Wie bei allen Korbblüten-Gewächsen bestehen ihre Blütenköpfe aus vielen kleinen Einzelblümchen: kleinsten Röhren in der Mitte, die umkränzt sind von größeren Röhren mit einem langen, nach außen ragenden Blatt. Charakteristisch ist, dass dieses Strahlblatt außen drei Zähnchen hat. Rund 150 pharmazeutisch wirksame Inhaltsstoffe hat man bis heute bestimmen können. Dazu gehören Flavonoide, Carotinoide, Cholin, Bitterstoffe, Sesquiterpenlactone und die wertvollen ätherischen Öle. Schon die Benediktinerin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen erkannte vor rund 900 Jahren die Heilkraft der „Wolfsgelegena“, wie sie die Arnika nannte. Es ist nur wenigen Menschen mit Sondererlaubnis gestattet, die Arnika in fest definierten Mengen zu ernten. Wildes Pflücken ist streng verboten. Was aber immer geht: ein Spaziergang oder eine geführte Kräuterwanderung durch eine der schönsten Naturlandschaften des Frankenwaldes.
Sabine Raithel