
Bei Familie Heun trifft sich die ganze Familie vor dem Christbaum mit echten Kerzen und die Enkel Magdalena und Robert musizieren.
Heimische Nordmann-Tanne oder ein Klappmodell aus PVC? Karaoke in der Weihnachts-Alm oder doch lieber zur Christmette in die Kirche? Kaum etwas polarisiert zum Jahresende mehr, als die Frage, wie wir Heiligabend feiern.
Weihnachten naht mit großen Schritten. Aber eigentlich tut es das schon seit – na sagen wir – Ende August, da nämlich kamen die ersten Lebkuchen in die Supermärkte. Sie läuten jedes Jahr nach der Sommerpause Phase eins des Weihnachtsrummels ein, der sich von nun an kontinuierlich steigert. Peu à peu wird das mehr. Spätestens im Oktober gibt es beim Discounter eine Ecke mit unverzichtbarem Equipment für ein gelungenes Weihnachtsfest: Kugeln in den angesagten Modefarben (in diesem Jahr trägt der modisch orientierte Baum schlammfarbene Kugeln im Militarystyle, schließlich herrscht ja fast auf der ganzen Welt Krieg); Plastiksterne mit LED-Steuerung, die alle paar Sekunden die Farbe wechseln; putzige Zwerge, nicht mit Schürze und Schubkarre, sondern nackig und mit Flügeln – und natürlich noch mehr weihnachtliche Gebäck- und Schokoladenkreationen aus der Großindustrie. Wie ein Tsunami nimmt ab spätestens Anfang November die Lawine des weihnachtlichen Gerölls an Fahrt auf und findet zwischen Advent und Heiligabend einen denkwürdigen Höhepunkt.
In diese Zeit haben geschickte Marketingstrategen den Weihnachtsmarkt als „POS“ (Point of Sale) platziert. Denn da geht was und deshalb werden diese Jahresend-Jahrmärkte auch immer größer. Welches Bild haben Sie beim Gedanken an Weihnachtsmarkt im Kopf? Hübsche, kleine, zauberhaft beleuchtete Holzhütten, an denen es handgefertigten Christbaumschmuck oder frisches Weihnachtsgebäck gibt? Dazu vielleicht ein Kinderchor, zartes Flockengestöber, und sonst Stille, so dass man noch die Tritte im Schnee hören kann? Nun, Sie scheinen entweder hoffnungslos romantisch zu sein oder haben tatsächlich noch einen beschaulichen Weihnachtsmarkt gefunden (in Franken soll es die tatsächlich noch geben). Der allgemeine Trend sieht jedoch anders aus. Da werden die Begriffe „Weihnachtsmarkt“ bzw. „vorweihnachtlicher Innenstadtbesuch“ und „Stress“ synonym verwendet: Erstmal in der hoffnungslos überfüllten Stadt einen Parkplatz finden, dann lässt man sich wie ein Lemming von der Masse von Stand zu Stand, von Geschäft zu Geschäft schubsen. Die Tüten werden immer größer. Die Menschenschlangen immer länger. Und die Musik (eine Kakophonie zwischen Ballermann-Hits und blechernem Weihnachts-Kitsch) wird immer lauter. Zwischendurch schnell einen Glühwein runterstürzen, das gehört dazu und man kann sagen: Jawohl, ich war in diesem Jahr auf dem Weihnachtsmarkt. Schön war’s (und gut, dass es vorbei ist). Denn dann kann man endlich, völlig erschöpft von diesem Wahnsinn, unterm Baum zusammensacken. Der ist glücklicherweise schnell aufgestellt. Den gibt’s nämlich im Baumarkt fix und fertig geputzt als wiederverwendbares und abwaschbares Klappmodell. Und die Playstation für die Kinder ist schon im Laden eingepackt worden. Ehepaare schenken sich nichts mehr. Was soll das, man hat ja alles. Und wenn endlich alles ausgepackt ist und der ganze Verpackungsmüll im Wohnzimmer verteilt ist, dann kann man sich mit einer Dose Würstchen vor den Fernseher („das Kaminfeuer im modernen Heim“) setzen und endlich Serien schauen. Diese Art Weihnachten zu feiern hat durchaus ihre Berechtigung und deshalb zahlreiche Anhänger.
In Ausgabe 12/2015 titelte das Magazin „Stern“: „Das zerbrechliche Fest: Weihnachten mit der Familie!“. Dazu gab es eine Extrageschichte: „Besuch beim Edeka-Opa. So feiert er wirklich Weihnachten.“ Und ein Quiz: „Was wissen Sie über Weihnachten?“. Das sagt vieles aus über unser Verhältnis zu dem Fest, an dem wir uns eigentlich der Geburt und Botschaft Christi erinnern sollten. Aber es sagt längst nicht alles. Denn es gibt ja auch noch die schönen Seiten des Festes. Und es gibt, neben den absoluten Weihnachtsverweigerern und den Freunden des XXXL-Shoppings auch noch die, die den eigentlichen Sinn vom 24. Dezember nicht vergessen haben und entsprechend anders feiern.
Der Hofer Altbürgermeister, Dr. Hans Heun, gehört dazu. Bei den Heuns ist Weihnachten das Fest, an dem sich die ganze Familie – Großeltern, Kinder und Enkel – treffen und miteinander Zeit verbringen. „Den Baum schmücke ich selbst – und zwar am Vortag. Das hat bei uns so Tradition. Wir haben immer einen sehr großen Baum, der mit echten Kerzen und bunten Kugeln dekoriert wird“, berichtet Dr. Hans Heun und räumt augenzwinkernd ein: „Meine Frau nimmt jedoch noch manchmal gewisse Korrekturen vor.“ Der Heiligabend beginnt bei den Heuns mit dem gemeinsamen Besuch des Abendgottesdienstes. „Meistens gehen wir in die Hofer Christuskirche.“ Das frühere Hofer Stadtoberhaupt erzählt: „Anschließend versammelt sich die Familie um den Baum, den vorher natürlich noch niemand sehen durfte. Wenn sich dann erstmals die Türe öffnet und der hell erleuchtete Baum steht da – das ist immer ein ganz besonderer Moment. Wir trinken dann gemeinsam ein Gläschen Sekt und anschließend wird gewürfelt.“ Das mit dem Würfeln hat bei Familie Heun eine besondere Bewandtnis: Denn erst wenn gewürfelt wurde, darf derjenige mit der höchsten Augenzahl ein Päckchen öffnen. „Das erhöht die Spannung und hat enormen Unterhaltungswert. Den weiteren Abend verbringen wir bei selbst gebackenen Plätzchen und Stollen und dem Essen, das meine Frau liebevoll zubereitet hat. Dazu hören wir Weihnachtsmusik.“

Bei Familie Feldrapp in Naila: Früher durften die Kinder erst zur Bescherung ins Weihnachtszimmer.
Fotos (2): Reinhard Feldrapp
Das Bewahren der „Staden Zeit“ und die Besinnung auf die eigentlichen Werte von Weihnachten sind auch Ingrid Feldrapp aus Naila wichtig. Die Ehefrau des bekannten Frankenwald-Fotografen Reinhard Feldrapp ist fünffache Mutter und zweifache Großmutter. Sie liebt es, wenn zu Weihnachten die Familie zusammenkommt. „Ich genieße das Schmücken des Baumes. Wir verwenden echte Kerzen und die bunten, edlen Kugeln sind zum großen Teil Familienerbstücke. Wunderschön.“
„Früher, als unsere Kinder noch klein waren, war das Weihnachtszimmer bis zur Bescherung abgesperrt und die Kinder durften erst eintreten, wenn ‚das Christkind’ mit seinem Glöckchen geläutet hat. Später haben unsere Kinder ‚gebeichtet‘, dass sie manchmal heimlich von außen durchs Fenster geblinzelt haben, um doch einen Blick auf den Baum zu erhaschen.“ Ingrid Feldrapp: „Ich halte nichts von diesem grellen und lauten Weihnachtstrubel. Ich finde, dem kann man sich sehr gut entziehen. Man muss einfach für sich selbst die Entscheidung treffen, was einem wichtig ist.“ Auf die Frage nach ihrem schönsten Weihnachtserlebnis sagt sie: „Das ist schon einige Jahre her. Wir waren mit unserem jüngsten Sohn in der Kirche. Unsere großen Söhne hatten in dieser Zeit einen selbstgebastelten Fröbelstern im Giebel unseres Hauses befestigt. Als wir nach Hause kamen, leuchtete dieser Stern an der Fassade. Das war eine wirklich zauberhafte Überraschung. Der Stern hat bis heute seinen Platz dort.“ Und dann sagt sie: „Heute sind unsere Kinder längst erwachsen, aber sie lieben diese traditionelle Art Weihnachten zu feiern nach wie vor. Und natürlich gehört da auch ein klassisches Weihnachtessen dazu: Bei uns ist das Gänsebraten mit Klößen und Kraut. Anstatt Materiellem schenken wir uns Zeit und Dinge, die wir gemeinsam erleben können. Das ist es doch, worauf es ankommt: die Liebe und die Zeit, die man in Ruhe miteinander verbringen kann. Das ist für mich Weihnachten.“ Sabine Raithel