Vor 125 Jahren begann Philipp Rosenthal sen. mit einer eigenen Porzellanproduktion. 1950 trat der Sohn des Firmengründers, Philip Rosenthal jun., in die Rosenthal AG ein. Unter seiner Ägide entwickelte sich das Unternehmen zu einer stilprägenden Industrie-Ikone in Sachen Wohnkultur und Kunst. Philip Rosenthal wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Unter dem Motto „Rosenthal − ein Mythos“ widmet das Selber Porzellanikon den beiden Ausnahme-Unternehmern eine Sonderausstellung.
Auf einem Tisch im Eingangsbereich des Porzellanikons steht ein Ruderboot. Es ist ein Exponat aus dem rund 25.000 Objekte umfassenden Rosenthal Archiv, aus dem Kuratorin Petra Werner die Stücke ausgewählt hat, die für das Leben und Werk von Philipp und Philip Rosenthal kennzeichnend sind. Das Boot ist ein kreatives Puzzle aus unterschiedlichsten Rosenthal Porzellanformen. Philip Rosenthal jun. hat es zum 70. Geburtstag von Mitarbeitern geschenkt bekommen. Es ist eine Anspielung auf eine der vielen großen Leidenschaften des sportlichen Unternehmers, der nicht nur rudert, sondern auch wandert, Ski fährt, Sportflieger ist und die höchsten Gipfel der Erde stürmt. Was auch immer er tut, er tut es auf Leistungssport-Niveau. Er leitet eine Expedition auf den Himalaja, zwei Sechstausender schafft er als Erstbesteigung und noch mit 73 Jahren umschwimmt er die Insel Grand Canaria. 190 Kilometer in mehreren Etappen. Der Sport ist eine Gemeinsamkeit, die Sohn Philip (englisch mit nur einem „P“) und Vater Philipp einen. Philipp Rosenthal sen. war noch weit jenseits der 70 ein aktiver Sportsmann. Voller Stolz soll er in der Familie immer wieder die Vorzüge einer disziplinierten Lebensweise und die Systematik täglicher Leibesübungen geradezu ideologisch propagiert haben. Doch das ist nicht die einzige Eigenart, die Vater und Sohn gemein haben. Beide bevorzugen die Rasur ohne Spiegel in der Badewanne, beide sind hochgebildet, haben die Welt „von unten und oben“ kennengelernt, beide waren sie „reicher Junge und armer Hund“, lieben das Spiel mit Aphorismen, haben Sinn für Kunst und Ästhetik, ein Faible für schöne Frauen, sie sind Abenteurer, Exzentriker, Visionäre und Vollblut-Unternehmer.
Philipp Rosenthal sen. kam im Jahr 1855 als Spross einer jüdischen Töpfer- und Porzellanhändler-Familie im westfälischen Werl zur Welt. Als 17-Jähriger geht er – gegen den Rat der Eltern – nach Amerika. In New York verdingt er sich als Laufbursche, Tellerwäscher und Liftboy. Dann geht er nach Texas. Dort wird er Postreiter und später Kutscher bei der „Butterfield San Diego Line“. Allzu lange hat der spätere Geheimrat Philipp Rosenthal dieses abenteuerliche Leben jedoch nicht geführt. Vier von seinen sieben Amerika-Jahren verbringt er in den Diensten der Porzellan-Importfirma Jacob Meyer Bros. Vermutlich hat ihn dieses Unternehmen dann als Einkäufer nach Deutschland geschickt. Mit 24 Jahren besucht er – in weltmännischem Chic gekleidet − den Porzellanhersteller Hutschenreuther in Selb. Die Verhandlungen sind zäh – er muss um bemaltes Porzellan geradezu betteln. Damit fällt sein Entschluss: „Ich mache das Zeug selber.“ Um 1879 richtet er im markgräflichen Schloss Erkersreuth bei Selb eine Porzellanmalerei ein. Die nicht dekorierte Weißware bezieht er zunächst noch von Hutschenreuther. Den ersten großen wirtschaftlichen Erfolg hat er mit einem heute legendären Aschenbecher, dem „Ruheplätzchen für brennende Cigarren“. Im Jahr 1891 baut er einen Weißbetrieb in Selb und produziert sein eigenes Porzellan.
Philipp Rosenthal schrieb Erfolgsgeschichte. Nach harten Anfangsjahren war er bald Chef einer Aktiengesellschaft mit mehreren Fabriken. Er war ein reicher Mann mit der Attitüde eines Grandseigneurs. Der Geheimrat war einer der ersten Autofahrer nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Drei Jahre bevor Karl Benz das deutsche Reichspatent für ein „Fahrzeug mit Gasmotorenantrieb“ erteilt wurde, im Jahr 1893, kaufte sich Rosenthal einen Benz. Im Unternehmen war er ein patriarchaler Autokrat und gleichzeitig ein Chef, dessen Fürsorge für die Mitarbeiter beispielhaft und seiner Zeit weit voraus war. Arbeiter und Angestellte bei Rosenthal waren die am besten bezahlten der ganzen Branche. Er baute Wohnungen für seine Mitarbeiter, finanzierte Kinderkrippen, die Anlage von Schrebergärten und gab den werdenden Müttern in seiner Belegschaft bezahlten Urlaub.
Philip Rosenthal jun. fährt auch als gestandener Unternehmer nicht wie einst sein Vater einen Mercedes. Er bevorzugt seinen geliebten VW-Bulli. Der und seine x-fach geflickte Aktentasche, die er sein ganzes Berufsleben bei sich trägt, werden zu seinen persönlichen Markenzeichen. Aber in vielen anderen Dingen, z. B. in Sachen Abenteuerlust und Eigensinn, steht er seinem Vater in nichts nach. Philip Rosenthal jun. kommt als reicher Junge in Berlin zur Welt. Da ist sein Vater 61 Jahre alt und seine schöne Mutter Maria 26. Der Industriellenspross erhält eine exzellente Ausbildung. Er besucht Schulen in Deutschland, der Schweiz und England (einer seiner Schulkameraden ist der spätere englische Premierminister Edward Heath), studiert am Exeter College in Oxford Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften und schließt mit Promotion ab. In Oxford ist er auch Captain der berühmten Rudermannschaft. Dann hat er erst mal die Nase voll vom elitären Leben. Wie der Vater in jungen Jahren, so sucht auch er das Abenteuer, will das Leben „von unten“ kennenlernen. Dann bricht der zweite Weltkrieg aus. Dass er zum Kampf gegen die Nazis antreten will, ist für Philip Rosenthal jun. glasklar. Er wählt einen der schwersten Wege, die man in dieser Zeit überhaupt gehen kann und meldet sich als Freiwilliger zur Fremdenlegion. Ob er diesen Weg beschritten hätte, wenn er geahnt hätte, was ihn erwartet? Er erlebt lichtlose Gefängniszellen, Straflager, Wüstenmärsche ohne Wasser. Zwei Jahre schuftet er als Gefangener des Vichy-Regimes in Steinbrüchen und bei Straßenarbeiten. Diese Zeit war prägend und wohl auch ausschlaggebend für das spätere sozialpolitische Engagement Rosenthals. Erst der vierte Fluchtversuch glückt. Über Gibraltar gelangt er nach England. Er wird Bäckerlehrling, arbeitet unter dem Pseudonym „Mr. Rossiter“ als Journalist und wird schließlich Angestellter im Foreign Office. „Wenn man die Welt wirklich von unten gesehen hat, mit spanischen Landarbeitern, Arabern und schwarzen Analphabeten die Zementbank im Gefängnis und die Arbeit im Steinbruch geteilt hat, dann kann man, außer man hat alles vergessen und nichts dazugelernt, nur ein Reformer sein“, wird er später einmal sagen.
Er wurde ein Reformer. Im Jahr 1950 kommt er aus dem englischen Exil zurück nach Selb und steigt zunächst als Werbeleiter in das Unternehmen ein, das sein Vater gegründet hatte. Sein Aufstieg ist rasant. Der publicityfreudige Namensträger wird schon 1958 zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Mit viel Gespür für Produkte, den Markt und die Öffentlichkeit krempelt er das bislang etwas angestaubte Unternehmen völlig um. Er arbeitet mit führenden Designern und internationalen Künstlergrößen zusammen. Er kreiert zunächst den „New Look“ in Porzellan und hebt später die „Rosenthal Studio-Linie“ aus der Taufe, die sich dem „Originalen unserer Zeit“ verschreibt. Als Marketingprofi ist er seiner Zeit weit voraus. Er sucht sich „Testimonials“, „Frauen, von denen man spricht“, wie die Begum Aga Khan, die Enkelin des letzten Deutschen Kaisers, oder beliebte Schauspielerinnen wie Grete Weiser, die sich mit Rosenthal Porzellan ablichten lassen. Seine innovativen Markt- und Markengrundsätze hält er bereits Anfang der 1950er Jahre in einer wegweisenden Broschüre fest: „Das Markenbild von heute ist der Umsatz von morgen“. Sie hat noch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Rosenthal hat als einer der ersten erkannt, dass der Erfolg des Unternehmens wesentlich von einer konsequenten Markenstrategie bestimmt wird. Will heißen: Produkte, Werbung, Kommunikation und der Auftritt der Marke sollen einen Gleichklang bilden. Rosenthal schreibt die Bedingungen hierfür stringent fest und setzt sie mit aller Konsequenz um. So wird z. B. weltweit jedes Rosenthal Studio-Haus im gleichen Stil eingerichtet und zeigt im regelmäßigen Turnus die gleiche Schaufenster-Dekoration. Selbst in Kaufhäusern dürfen Rosenthal Produkte nur in festgelegten Abteilungen mit speziellen Ladenbausystemen präsentiert werden.
Philip Rosenthal begründet die Drei-Marken-Strategie mit Rosenthal Studio-Linie, Classic Rose und Thomas, um unterschiedliche Marktsegmente anzusprechen. Er initiiert, gemeinsam mit Kunstikonen wie Henry Moore, Jörg Immendorf oder Ernst Fuchs die „Limitierte Kunst“ aus Porzellan. Und er baut sein Unternehmen sukzessive zu einer „Manufaktur des Wohnens“ aus, produziert in eigenen Werken neben Porzellan auch Glas, Besteck, Keramik und Möbel. Die Produkte sind allesamt Entwürfe renommierter Designer und Künstler. Alles, was in der internationalen Kunstszene Rang und Namen hat, ist nun zu Gast im oberfränkischen Selb. Eine hochrangige Experten-Jury entscheidet, welcher Entwurf auf den Markt gebracht wird. Zielbewusst baut er daneben auch die technische Keramik aus.
Beim Bau seiner neuen Werke setzt er − auch hier hat er weltweit die Nase vorn − auf die Zusammenarbeit mit namhaften Koriphäen der Architekturszene. Walter Gropius entwirft die Porzellanfabrik am Selber Rohbühl und das Glaswerk in Amberg; Otto Piene gestaltet die Fassade der Hauptverwaltung in Selb mit dem markanten Regenbogenmotiv, Friedensreich Hundertwasser gestaltet das Erscheinungsbild vom Werk Selb und Marcello Morandini die Fassaden vom Werk in Speicherdorf sowie das „Spiegelhaus“ in Selb.
Er schafft mit den „Rosenthal Feierabenden“ kulturelle Events von Weltrang. Zu den Veranstaltungen, bei denen internationale Showgrößen wie Louis Armstrong in Selb gastieren, kommen nicht nur Mitarbeiter, sondern Menschen aus der ganzen Region. Das Unternehmen baut er zu einem führenden Konzern mit zehn Werken und rund 6.000 Mitarbeitern aus.
Doch unternehmerischer Erfolg alleine reicht ihm nicht. Er will auch gesellschaftspolitisch etwas bewegen. Seine Idee: die Beteiligung der Mitarbeiter am „Sagen und Haben“. Schon 1963 hat er damit begonnen, das wachsende Unternehmensvermögen umzuverteilen und seine Mitarbeiter am Unternehmen zu beteiligen. Mit diesem Modell der betrieblichen Vermögensbildung, genannt „Der dritte Weg“, macht er die Politik auf sich aufmerksam. Sozialdemokraten wie Georg Leber oder Karl Schiller suchen das Gespräch mit ihm. Der damalige Vorsitzende der SPD-Fraktion, Helmut Schmidt, schlägt Philip Rosenthal vor, sich um ein Mandat im Deutschen Bundestag zu bewerben. Im Februar 1969 tritt der Unternehmer Rosenthal in die SPD ein und gewinnt den Wahlkreis Goslar-Wolfenbüttel. Später wird der Abgeordnete Rosenthal zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium ernannt. Er lädt wichtige politische Vordenker nach Schloss Erkersreuth ein. Zu seinen „Politpartys“ kommen u. a. Helmut Schmidt, Norbert Blüm oder auch Edward Heath. Bis 1983 bleibt er Bundestagsabgeordneter der SPD. Am 27. September 2001 stirbt Philip Rosenthal. Am 23. Oktober diesen Jahres wäre er 100 Jahre alt geworden. Er war ein vorausschauender Mensch, der nur wenig dem Zufall überließ. Deshalb hat er schon zu Lebzeiten seine Grabplatte gravieren lassen. Darauf steht: „Von Porzellan verstand ein sogenannter König eigentlich wenig: schon mehr der Bruder Rot von Menschen und vom Ruderboot.“ Sabine Raithel
Ausstellung: „Rosenthal – Ein Mythos. Zwei Männer schreiben Geschichte“
Die bislang größte multimediale Ausstellung rund um die beiden bedeutenden Unternehmer Philipp Rosenthal sen. und Philip Rosenthal jun. ist bis 13. November 2016 im Staatlichen Museum für Porzellan, Porzellanikon in Hohenberg an der Eger und Selb zu sehen. Kuratiert wurde die Ausstellung von der renommierten Porzellan-Expertin Petra Werner, Kuratorin am Porzellanikon und des Rosenthal Archivs, das als Dauerleihgabe der Oberfrankenstiftung an das Porzellanmuseum übergeben wurde. Auf 1.250 Quadratmetern Fläche werden u. a. Glas, Bestecke, Porzellan, Stücke aus der Reihe „Limitierte Kunst“ und Möbel zu sehen sein, darunter auch bislang noch nie öffentlich präsentierte Exponate. Als besonderer Höhepunkt wird anlässlich der Jubiläumsausstellung die Rosen-
thal-Abteilung des Porzellanikons im Brennhaus der ehemaligen Rosen-
thal-Fabrik in Selb mit ihrem imposanten Rundofen neu inszeniert. Bekannte Dekore aus der Firmengeschichte zieren die 44 Fenster der Halle und geben ihr den Charakter einer Industriekathedrale. Mehrere Themeninseln beleuchten in einer Gegenüberstellung von Vater und Sohn die Geschichte des Unternehmens und die Produktinnovationen im Kontext der jeweiligen Zeit.