Seit 50 Jahren be- und durchleuchtet „der Gerch“ seine Mitmenschen. Die feinsinnigen Beobachtungen, die er auf Streifzügen durch seine Heimat insbesondere in Wirtshäusern und auf seinen „Hofer Spaziergängen“ macht, schreibt er in urwüchsiger Hofer Mundart fein säuberlich nieder. Die Leser der Frankenpost können sie jeden Samstag in ihrer Zeitung nachlesen. 2.500 Geschichten, teilweise zusammengefasst in sieben Büchern und sechs CDs, hat „der Gerch“ bislang veröffentlicht. Mit seinen „Gschichdla“ massiert er den „Nervus Humoricus“ einer ganzen Region; sachte und durchaus liebevoll regt er seine Leser aber auch zum tieferen Sinnieren an. Trotz aller Prominenz: Gesehen hat den „Gerch“ noch nie jemand. Unsere Autorin machte sich auf den Weg, um das kauzige Hofer Original aufzuspüren. Sie traf dabei auf seinen geistigen Vater, den Journalisten und Buchautor Gert Böhm.
Da schreibt jemand 50 Jahre lang über Gott und die Welt – und niemand hat ihn je zu Gesicht bekommen. Einzig der Hofer Künstler Karl Bedal. Der muss ihn gesehen haben. Er hat schließlich die einzige vorhandene Abbildung vom „Gerch“ geschaffen: eine Karikatur in Linolschnitt-Technik. Sie zeigt ein Männlein mit Hut und Stock, ein bisschen Pykniker, ein bisschen Osteoporose-Figur, ein paar Seidla und Hofer Bratwürste zuviel. Er schaut halb scheu, halb neugierig um die Ecke. Das ist er also, „der Gerch“. Ein Mensch wie du und ich. Meine Güte, das könnte ja jeder sein.
Auf der Suche nach dem „Gerch“ steckt mir einer, der ihn wohl vom „Karteln“ her kennt, eine Adresse zu. Irgendwo im Hofer Umland mach ich mich weiter auf die Suche. Finde die Adresse. Die Tür öffnet definitiv keiner, der aussieht wie „Gerch“. Gert Böhm ist 75, aber das körperliche Training des einstigen Profi-Fußballers (SC Tasmania Berlin), Meisters im Ringen (Schwergewicht) und Marathonläufers sowie die jahrzehntelange Beschäftigung mit spirituellen Themen sorgen für innere und äußere Haltung. Ob denn „der Gerch“ zu sprechen sei, will ich wissen. „Naja, vielleicht; vielleicht auch nicht.“ Ich solle erst mal reinkommen. Im Gespräch stelle ich fest, dass mein Gastgeber nicht minder wenig zu erzählen hat als dieser ominöse „Gerch“, der sich weiterhin nicht blicken lassen mag.
Der Weg ist das Ziel
Gert Böhm, Jahrgang 1940, kam eher zufällig zur schreibenden Zunft. Nach einer Knieverletzung muss er mit knapp 22 Jahren eine vielversprechende Karriere als Profi-Fußballer an den Nagel hängen. Er kehrt Berlin, wo er „nebenbei auch ein bisschen rumstudiert hatte“, den Rücken und dann zurück in seine Heimatstadt Hof. Dort absolviert er ein Volontariat bei der Frankenpost. Mit 26 Jahren wechselt er die Seiten zur Public Relations, arbeitet erst für die Rosenthal AG, dann für Hutschenreuther. Dort wird er mit nur 34 Jahren jüngster Direktor.
Parallel beginnt Böhm, sich intensiv mit Lebens- und Glaubensthemen auseinanderzusetzen. Insbesondere beschäftigen ihn der Sinn und die Ursachen von Krankheiten. Wenige Jahre später, mit ungefähr 40, kündigt Gert Böhm seine gut dotierte und sichere Anstellung bei dem prosperierenden und seinerzeit größten europäischen Porzellankonzern und begibt sich auf die Reise. Genau genommen ist es eine Vielzahl von Reisen, und insgesamt dauert diese Phase zehn Jahre. Sein Geld verdient Böhm in dieser Zeit als freier Kommunikations-Berater. Böhm reist zu Wunderheilern auf die Philippinen, zu den Maasai in Afrika, zu archaisch lebenden Bergstämmen im thailändischen Hochland. Er lernt Schamanen und Medizinmänner am Amazonas und in Kanada kennen, Vodoo-Priester im brasilianischen Salvador, begibt sich zu den Maya in Guatemala und trifft tibetische Ärzte im Himalaja. Er verbringt einige Zeit im Exil der Tibeter in Dharamsala (Indien), wo er sich mit deren Medizinsystem auseinandersetzt und mehrfach mit dem Dalai Lama zu persönlichen Gesprächen zusammentrifft. Diese in fast zehn Jahren erworbenen Kenntnisse bilden die Grundlage für Böhms Roman „Gestern war ich tot“, in dem es um die Zusammenhänge zwischen Glauben und Gesundheit geht. Die Erstversion des Manuskriptes schreibt Böhm während eines vierteljährigen Aufenthaltes in einem bayerischen Benediktinerkloster. Dann beginnt eine neue Lebensphase. 1990 übernimmt Gert Böhm die Geschäftsführung des Frankenpost Verlages in Hof. Ende 2000, mit Erreichen des 60. Lebensjahres, zieht er sich aus dem aktiven Berufsleben zurück. Seither ist er als freier Journalist und Buchautor aktiv. 20 Bücher hat er bisher geschrieben; elf davon in Autorengemeinschaft mit dem Benediktiner-Mönch Dr. Johannes Pausch, eines gemeinsam mit dem Arzt Dr. Johannes Wilkens. In diesen Büchern geht es vor allem um Spiritualität, um die Zusammenhänge von Leib und Seele und deren Auswirkungen auf die Gesundheit, um den richtigen Lebensrhythmus und um die ganzheitliche Betrachtung des Lebens. Er habe sehr viel gelernt auf seinem Weg, sagt Böhm, zum Beispiel Demut. Heitere Gelassenheit sei ein Zustand, den er als erstrebenswert erachtet. Bis heute treibt Böhm die Sinnsuche, die Suche nach dem wirklich Wichtigen im Leben um. Antworten findet er innen und außen, beispielsweise im Gespräch und in der Meditation. Eine Reise, die niemals aufhört.
Nach all den Schilderungen wundert’s nicht, dass auch „der Gerch“ seine Reise-Manuskripte – per Maschine getippt oder per Hand auf hauchdünnem Luftpost-Papier niedergeschrieben – aus aller Herren Länder in die Redaktion nach Hof sandte.
Die zwei Seiten: Gert und Gerch
Apropos: Wie der denn so sei, „der Gerch“, als Mensch, will ich von Gert Böhm wissen. „Der ‚Gerch‘ ist ein typischer Hofer: ein wenig skeptisch, einer der erst mal beobachtet, kein bisschen unangenehm, kein Nörgler – nein, eher einer, der so rumknörrt. Der tut keinem weh. Der will erheitern und dazu motivieren, mit Humor durchs Leben zu gehen“, sagt Gert Böhm. „Im ‚Gerch‘ steckt nicht nur ein bisschen von mir.“ Aha, das ist es also. „Der Gerch“ ist das Alter Ego von Gert Böhm. Was dem Kerkeling sein Horst Schlemmer, das ist dem Böhm sein „Gerch“. Der „Hofer Spaziergänger“ ist die älteste Mundart-Glosse bayerischer Zeitungen – wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland. Zu den Besonderheiten gehört, dass sie in den fast 100 Jahren ihres Bestehens von nur zwei Autoren geschrieben wurde: 46 Jahre lang von Karl Röder und nunmehr seit 50 Jahren von Gert Böhm.
Wie kommt man auf so eine Kunstfigur? „Ich wurde gefragt“, erinnert sich Gert Böhm. „1966 war das. Da sprach mich der damalige Chefredakteur des Hofer Anzeigers an: Hätten Sie Lust, die Mundart-Glosse ‚Hofer Spaziergänge‘ zu übernehmen? Karl Röder, der die Glosse seit 1920 geschrieben hatte, war aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht mehr in der Lage. Und ich, damals 25, junger Journalist, Familienvater, brauchte jede Mark.“ Den „Gerch“ gab es bei Karl Röder allerdings noch nicht. Dessen Protagonisten waren die „Pensla“ und der „Quetschenendner“, die „Obersekretära“ nebst Gemahl – alles „typische Hofer“, die samstags in der Zeitung über Gott und die Welt „waaften“. Den „Gerch“ hat Gert Böhm kreiert. „Gerch“ ist der Archetyp des Hofers und damit eine besondere Mutation des gemeinen Franken. Wie der denn sei, der typische Hofer, will ich wissen: „Naja, er ist schon zugeknöpft“, meint Böhm, „nicht sonderlich offen. Es braucht seine Zeit, bis er Vertrauen schöpft und auch, bis er sein Gegenüber ernst nimmt. Er ist auch keine ‚Frohnatur‘, wie es vielleicht der Düsseldorfer ist. Und er geht sparsam mit Worten um.“
„Ich willigte damals ein – obwohl ich schon zunächst Bedenken hatte. Es ist gar nicht so leicht, jeden Samstag eine Glosse in Mundart aufzuschreiben.“ Gert Böhm wird etwas nachdenklich: „Wissen Sie, mit Mitte Zwanzig macht man sich noch keine großen Gedanken über Heimat oder über einen Dialekt, der das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen stärken kann. Heute denke ich darüber anders. Vielleicht hilft der Dialekt sogar, dass in unserer modernen, anonymen Welt die Menschen ihre Identität nicht ganz verlieren. Früher musste ich mit dem ‚Gerch‘ meinen Lebensunterhalt verdienen – heute möchte ich den Menschen einfach eine Freude bereiten. Klingt ziemlich pathetisch, ‚iss obber so!‘“. Und er fährt fort: „Die Menschen haben heutzutage so viele Sorgen, da tut es gut, wenn man sie zum Lachen bringen kann. Neben den vielen ernsten Themen, mit denen ich mich beschäftige, ist das ein Ausgleich. ‚Gerch‘ ist die andere Seite von mir. Und ich empfinde es als großes Geschenk, dass ich mit dem ‚Gerch‘ diese Seite nicht nur leben, sondern auch teilen kann.“
Episoden aus dem Alltag
„Inspirationsquelle für meine ‚Gschichdla‘, das ist das Leben. Häufig höre ich was im Wirtshaus, manchmal ruft mich auch jemand an und erzählt mir irgendwas Schräges am Telefon, andere schreiben mir Briefe oder E-Mails. Dass mir die Themen eines Tages mal ausgehen könnten, das glaube ich nicht. Solange es Menschen gibt, solange wird es auch Geschichten geben.“ Sage und schreibe 2.500 dieser kleinen Anekdoten hat er so zusammengetragen. „Manche haben sich tatsächlich so ereignet, andere habe ich frei erfunden. Es sind die kleinen, witzigen Episoden aus dem Alltag, die ‚der Gerch‘ aufschreibt.“
Was sich rund um die Geschichten tut, ist nicht minder kurios. Eine der merkwürdigsten Begebenheiten passierte im Jahr 2000. Böhm erinnert sich: „In den USA lebte damals ein Mann mit dem ziemlich ungewöhnlichen Familiennamen ‚Bressagg‘. Eines Tages wollte er herausfinden, ob irgendwo in der weiten Welt noch Verwandte von ihm leben. Er startete Nachforschungen im Internet, indem er in mehrere Suchmaschinen den Namen ‚Bressagg‘ eingab. Ich weiß natürlich nicht, wie viele Menschen namens ‚Bressagg‘ von Google und Co. insgesamt gefunden wurden. Ein Treffer wurde jedenfalls aus Hof gemeldet, vom Archiv der Frankenpost, und zwar aus einer dort gespeicherten ‚Gerch‘-Geschichte. In der war ‚roder Bressagg‘ erwähnt. Dass es sich dabei nicht um einen versprengten Onkel des nachforschenden Amerikaners handelte, sondern um eine Mundart-Glosse, die sich mit fränkischen Spezialitäten aus der Metzgerei beschäftigte, konnte Mister Bressagg aus den USA natürlich nicht wissen. Jedenfalls erhielt die Frankenpost-Redaktion eine E-Mail, die höflich begann mit der Anrede: ‚Dear Mister Roder Bressagg…“ – und es folgten freundliche Nachfragen zum familiären Leben und zum verwandtschaftlichen Verhältnis des vermeintlichen Onkels oder Cousins. Im Antwortschreiben der Redaktion wurde der Amerikaner aufgeklärt, dass ‚roder Bressagg‘ sicherlich kein Verwandter sei …“
Und worüber denkt „der Gerch“ zur Zeit so nach? „Über nichts Besonderes. Er sucht Geschichten“, sagt sein Alter Ego, Böhm. Im September wird ein neues „Gerch“-Buch erscheinen. Titel: „Gleeeskebf, Schnerbfl, olda Waafen“. Und zum 50. Geburtstag vom „Gerch“ gibt es eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen. Wann und wie der „Gerch“ mal sterbe, will ich noch wissen. „Da gibt es zwei Möglichkeiten“, sagt Böhm. „Entweder macht ihm die Frankenpost den Garaus, weil die es einfach leid sind. Oder er geht eines Tages mit mir. Hoffentlich im Zustand heiterer Gelassenheit. Aber wie es wirklich wird, das weiß der Kuckuck.“ Sabine Raithel
Der „Hofer Spaziergänger Gerch“ wird 50
Der „Hofer Spaziergänger“ ist die älteste Mundartglosse an bayerischen Zeitungen, wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland. Zu den Besonderheiten dieser Dialekt-Glosse gehört, dass sie in den fast 100 Jahren ihres Bestehens von nur zwei Autoren geschrieben wurde: 46 Jahre lang von Karl Röder und seit 1966 von Gert Böhm. Was der „Hofer Spaziergänger“ für ein Mensch ist, hat Karl Röder selbst in seiner ersten Kolumne am 9. Oktober 1920 auf Seite 2 der Zeitung beschrieben: „Der Hofer Spaziergänger ist ein aufmerksam pürschendes Individuum, das auf Filzsohlen durch die Stadt geht und über 1000 Ohren, aber leider nur eine Zunge verfügt. Der Niederschlag seiner Beobachtungen, die vom überlaufenden Milchtopf bis zu den weisen Reden im Stadtparlament hinaufreichen, wird er an dieser Stelle, und zwar, wenn er die nötige Zeit erübrigt, allwöchentlich zum Besten geben. Nichts ist ihm zu klein, nichts zu groß, als dass er es nicht mit der ätzenden Lauge seiner Kritik übergießen wolle. Sein Scharfblick ermöglicht es ihm, durch 9 Paar Hosen zu schauen, wenn Loch auf Loch geht. Und weil er ein Mann geruhsamen Lebens ist, darum kann er so vieles, worüber sich die Leute oft aufregen, nicht recht ernst nehmen.“
Dass der „Gerch“ heuer 50 Jahre alt wird, feiert die Frankenpost in der Region mit sechs Veranstaltungen. Unter dem Motto „Gleeskebf, Schnerbfl, olda Waafen“ liest Gert Böhm die schönsten „Gschichdla“ aus fünf Jahrzehnten vor – begleitet von den „Hofer Volksmusikanten“. Auftakt zu der Jubiläums-Tournee ist am 10. April ein Abend in der „Meinels-Tenne“ in Hof, zu dem – neben der Frankenpost – auch ProHof einlädt.
Weitere Auftritte:
- Schwarzenbach/Wald (27. Mai um 20 Uhr im Philip-Wolfrum-Haus)
- Hallerstein (14. Oktober um 19.30 Uhr in der Festhalle)
- Oberprex (15. Oktober um 20 Uhr im Gasthaus „Zur Linde“)
- Helmbrechts (1. Oktober um 20 Uhr im Textilmuseum bzw. Bürgersaal)
- Dörnthal (22. Oktober um 20 Uhr in der Eventhalle Strobel).