Der Verein für Hof – in Bayern ganz oben.

Werner „Paul“ Krüger: Der Unsichtbare und sein Freund

Claus Henneberg mit einem Werk seines Freundes Paul Krüger

Claus Henneberg mit einem Werk seines Freundes Paul Krüger

Er war ein Sonderling. Ein Stiller, einer, durch den man hindurchsah. Äußerlich bettelarm war er zufrieden in seiner Welt, die aus Farben und Bildern bestand. Der Maler Werner „Paul“ Krüger war auf den ersten Blick ein Heimatloser, ein Vertriebener, der aber, das wurde erst bei genauerem Hinsehen offenbar, in sich selbst zuhause war. Der Hofer Schriftsteller, Verleger, Veranstalter und Buchhändler Claus Henneberg gehörte zu seinen engen Weggefährten.

„Es war wohl im Jahr 1947, als wir uns das erste Mal über den Weg liefen. Paul Krüger, der eigentlich Werner Krüger hieß, aber weil er meinte, dass alle Maler ‚Paul‘ heißen müssen, nannte er sich eben ‚Paul‘“, erinnert sich Claus Henneberg. „Er hatte eine Ausstellung in der Turnhalle am Hofer Longoliusplatz. Dort trafen wir auch auf den Maler Armin Sandig, der später große Karriere machte, und auch auf Werner Gilles.“ Aus dem zufälligen Zusammentreffen der Künstler wurde eine lebenslange Freundschaft.
Paul Krüger wurde 1911 in Stettin/Bredow als Sohn eines Metzgermeisters und Gastwirts in wirtschaftlich geordnete Verhältnisse geboren. Er besuchte die Mittelschule und absolvierte anschließend eine Lehre als Anstreicher. Von 1932 bis 1937 studierte er an der Stettiner Kunstgewerbeschule Malerei, Bildweberei, Grafik und Schrift. Später wirkte er in einer eigenen kleinen Werkstatt an zwei Webstühlen. Eigentlich hätte alles so weiter gehen können. Doch dann kam der Krieg, und im Leben des jungen Künstlers trat eine dramatische Kehrtwende ein. Krüger wurde zur Wehrmacht einberufen, und ein Jahr später ging es nach Russland. Bei Leningrad wurde er schwer verwundet. Die rechte Hand wurde amputiert. Ein Luftangriff im Jahr 1944 zerstörte sein Atelier und vernichtete sein gesamtes bildnerisches Werk. 1945 wurde er zur Genesung in ein Reservelazarett nach Hof verlegt.

„…Als der Krieg zu Ende und auch die kleine Stadt erobert worden war, strömten viele Flüchtlinge, die Hab und Gut verloren hatten, aus dem Osten herbei, und aus den Schulen für Buben und Mädchen wurden Lazarette für verwundete Soldaten…“

Bild Krüger Teil IHier beginnt auch „eine Liebesgeschichte“, die Claus Henneberg fast 65 Jahre später, im Jahr 2004, in einem gleichnamigen Buch aufgeschrieben hat. Es ist die Geschichte von Paul Krüger, dem Maler, und seiner Geliebten Elsbeth. Es ist die Geschichte einer Liebe im Nachkriegsdeutschland, überaus sensibel, mit vielen Details und feinen Nuancen, anhand der gemalten Erinnerungen Paul Krügers nacherzählt. Claus Henneberg hat dafür 30 kleine Aquarelle und Zeichnungen aus dem Nachlass seines Künstlerfreundes, die wohl zwischen 1945 und 1946 entstanden sind, ausgewählt. Der kluge Sprachzauberer verleiht hier seinem 1964 verstorbenen, kongenialen Freund eine Stimme, fügt und ordnet die Bilder zu einem schlüssigen Ganzen und erzählt die Geschichte ebenso schlicht wie märchenhaft. Die Geschichte ist auch deshalb so bemerkenswert, weil sie gleichsam ein Porträt des Malers Paul Krüger ist und zarte Einblicke in sein Seelenleben gewährt.

„…Der junge Maler aber glaubte seinen Augen nicht zu trauen: SIE, die er fünf Minuten vor sechs zum ersten Mal gesehen hatte, stand vor dem Schaufenster eines Brillengeschäftes. Ihr Haar schimmerte im Lampenschein rötlich und ein blauer Hut mit breiter Krempe rahmte ihr reizendes Gesicht wie auf einem Gemälde ein. Sie schien ein Wesen aus einer anderen Welt zu sein – vielleicht eines von einem anderen Stern…“

Claus Henneberg, Jahrgang 1928, Sohn eines erfolgreichen Anwalts aus Hof, ging in den 1950-er Jahren nach Paris, wo er, im Anschluss an sein Jurastudium, mit seiner Frau Gudrun lebte und als Schriftsteller arbeitete. Sein Freund Paul Krüger bezog in dieser Zeit eine unbeheizte Dachkammer am Hofer Schlossplatz, im Haus Nummer 5. Man mag sich vorstellen, wie schwer es für den Vertriebenen gewesen sein musste, mittel- und heimatlos sein Leben neu zu sortieren. Eisern trainierte er seine linke Hand, bis das mit dem Malen wieder gehen wollte. Den Stumpf am rechten Handgelenk bedeckte er mit einer Socke. Er malte und bettelte, lebte von der staatlichen Fürsorge, ging mit einem kleinen Bauchladen von Tür zu Tür, verkaufte Postkarten, Zwirn und Gummiband. Manchmal bettelte er beim Metzger um ein Stückchen Wurst. Und weil das Geld für teure Malutensilien fehlte, bemalte er Pappe, Packpapier, Karton und alte Papierfetzen. Großformatig waren seine Collagen, die er aus alten Zigarettenschachteln, Plakatresten, Schokoladenpapier und sonstigem Papierabfall zusammenklebte. Mit viel Detailliebe und Gefühl für farbliche Harmonien sind so gemalte und geklebte Geschichten aus einer anderen Welt entstanden. Doch leider hat es Krüger nie verstanden, sein Talent gewinnbringend zu vermarkten – aber vielleicht hat er es auch einfach nicht gewollt. „Betteln und Kunst aus dem Aschekasten“, so beschrieb er selbst sein Leben. Obwohl Paul Krüger und Claus Henneberg – äußerlich – in völlig verschiedenen Welten lebten, fühlten sie sich einander eng verbunden. „Dennoch haben wir uns bis zum Schluss gesiezt“, sagt der Schriftsteller Henneberg heute. „Es gab ein tiefes Verständnis zwischen uns. Er hat mich sehr geprägt.“

KSG305„…‚Stell Dir vor, ich habe eine Dachkammer gefunden! Wir haben eine Bleibe!‘, rief er schon von Weitem und stürmte auf Elsbeth zu. ‚Eine alte Frau hat sie mir überlassen. Sie wohnt gleich hier, am Schlossplatz Nr. 5!’ Er flog ihr förmlich entgegen und fiel seiner Liebsten vor Freude um den Hals. Sie verloren beide das Gleichgewicht. Elsbeth lag auf dem Boden. In der Nähe plätscherte ein Röhrbrunnen, dessen Wasser unablässig in ein steinernes Becken rann. Ihre Liebe kam ihnen wie dieser Brunnen vor. Als sie sich satt geküsst hatten, gingen sie in das alte Haus…“

Einige Jahre später war Claus Henneberg in München sesshaft geworden. „Paul Krüger besuchte uns ab und an. Er hatte ein, zwei Mäzene gefunden, die gelegentlich ein Bild von ihm kauften. Manchmal ging er auch im Auftrag von Hofer Bürgern auf Kunstauktionen und verdiente sich so ein paar Pfennig. So hatte er ein bescheidenes Auskommen. Auch in München hatte er eine kleine, unbeheizte Dachkammer. Wenn er zu uns kam, dann leckte er die leeren Marmeladengläser aus oder füllte sie mit lauwarmem Wasser, um die Reste herauszulösen.“ Claus Henneberg erinnert sich: „Einmal waren wir gemeinsam in der Münchner Innenstadt unterwegs. Paul Krüger brauchte dringend neue Schuhe. In der Auslage eines überaus exquisiten Schuhgeschäfts sah er einen sündhaft teuren Schuh, der ihm gefiel. Er wienerte seine eigenen Schuhe blitzeblank, um einen guten Eindruck zu machen, ging in den Laden und sprach mit dem Verkäufer: ‚Sie haben da einen so schönen Schuh im Schaufenster. Aber der ist doch von der Sonne schon so ausgebleicht. Und als Paar können sie doch den ausgebleichten und den zweiten, nicht ausgebleichten Schuh doch ohnehin nicht mehr verkaufen, so können sie mir die Schuhe doch auch schenken…‘. Kurz: Er bekam die Schuhe. Geschenkt.“

„…Er hatte sich jedoch das Tabakrauchen abgewöhnt und für seine gesparten Zigaretten Pinsel und Farben besorgt. Nur an Papier mangelte es ihm, aber da lagen auf dem Speicher alte Geschäftsbücher, aus denen er leere Seiten herausreißen konnte…“

„Paul Krüger war nahezu unsichtbar. Er war ein Mensch, den man in der Straße einfach übersah, durch den man quasi hindurchblickte. Er war einer, der eigentlich nichts wollte, keinen Besitz, keine Habe. Er war ein sehr stiller Mensch. Hat nie viel Aufhebens gemacht. Er war in sich selbst daheim“, so beschreibt ihn Claus Henneberg. Trotzdem trieb es ihn oft rastlos umher. Wie ein Landstreicher zog er durch die ganze Bundesrepublik. Er wohnte in Obdachlosenheimen, bei der Heilsarmee oder in der Bahnhofsmission. Als Anhalter oder mit billigen Busreisen trieb es ihn nach Frankreich, in die Schweiz, nach Spanien und Italien. „Eines Tages sagte er zu einem Bekannten, dass er wohl irgendwann vor dem Münchner Hauptbahnhof sterben werde. Und mich bat er, wenn es denn soweit wäre, solle ich mich um seinen künstlerischen Nachlass kümmern.“
Und so kam es dann auch. Am 21. Mai 1964 erlitt Werner „Paul“ Krüger auf einer Verkehrsinsel vor dem Münchner Hauptbahnhof einen Herzschlag. Der Nachlass bestand aus einem Barvermögen von rund 100.000 DM und einer Eigentumswohnung in München, die Krüger offenkundig nie bewohnt hatte. Die Badewanne in der Wohnung war gefüllt mit Bildern. Weitere Werke, die beim Bruder Krügers, einem Gastwirt in Oberbayern, gelagert waren, konnte Claus Henneberg gerade noch vor dem Weg in die Mülltonne retten. Der Großteil des künstlerischen Erbes befindet sich heute in Hof, u. a. im Besitz der Stadt. „Es war ihm nie darum gegangen, ein Vermögen oder Besitz anzuhäufen. Es war das Kriegstrauma, die große Angst davor, eines Tages wieder völlig abgebrannt und mittellos dazustehen, die ihn veranlasst hatte, so extrem sparsam zu leben und das Geld zu sparen oder anzulegen. Genutzt hat er das nie.“

KSG646„…Nun saßen sie nebeneinander auf dem Bett und bewunderten voller Andacht sein Werk. Sie vergaßen darüber beinahe das Abendessen. Elsbeth hatte ein Tuch mit lauter kleinen Herzen auf den Tisch gelegt, einen blühenden Zweig in eine Henkelvase gestellt und eine Petroleumlampe angezündet. Es gab heute Abend Speckwurst und trockenes Brot und Leitungswasser…“

Die junge Frau, die Paul Krüger einst so geliebt hatte, hat Claus Henneberg, der als Schriftsteller, Verleger, Kultur-Aktivist und -Veranstalter sowie Buchhändler Karriere gemacht hatte, später in dessen Buchhandlung in Hof besucht und sich als Geliebte Paul Krügers zu erkennen gegeben. „Wie sie mir sagte, hatte sie sich jedoch zu ihrem Leidwesen zu einer dauernden Verbindung mit ihm nicht entschließen können und einen anderen Mann geheiratet.“
„…Es konnte aber auch geschehen, dass man in hellen Vollmondnächten, auf einer der stillen Gassen der kleinen Stadt, einem jungen Mann und einer jungen Frau begegnete, die eng umschlungen zum Himmel hinaufblickten, wo der strahlende Polarstern im Kleinen Bären stand. Paul und Elsbeth hatten ihn zum Stern ihrer Liebe erkoren, dem sie immer folgen wollten…“
Sabine Raithel

Kursiv: Zitate aus „Eine Liebesgeschichte“ nach Bildern von Paul Krüger, von Claus Henneberg, Hoermann Verlag, 2004.

 

Ausstellungen im Reinhart-Cabinett:
Der Kulturkreis Hof widmet Paul Krüger im Frühjahr zwei Sonderausstellungen im Reinhart-Cabinett (gegenüber dem Museum Bayerisches Vogtland im historischen Hospitalgebäude).

Paul Krüger –  Sehr persönlich
Vernissage am Dienstag, 2. Februar, um 19.30 Uhr
Finissage am Sonntag, 3. April, um 15.00 Uhr

Paul Krüger – Aussichten
Vernissage am Dienstag,19. April, um 19.30 Uhr
Finissage am Sonntag, 26. Juni, um 15.00 Uhr

Öffnungszeiten: Fr, Sa, So jeweils 14.00 bis 17.00 Uhr
Führungen nach tel. Vereinbarung: 09281/1402711

Das aktuelle Heft
Archiv