Der Verein für Hof – in Bayern ganz oben.

Werner Döring: 47 Jahre lang die erste Geige der Hofer Symphoniker

Die Geige nimmt Werner Döring nur noch zu besonderen Anlässen in die Hand. Konzerte seiner Kollegen versäumt er dagegen so gut wie nie.

Die Geige nimmt Werner Döring nur noch zu besonderen Anlässen in die Hand. Konzerte seiner Kollegen versäumt er dagegen so gut wie nie.

47 Jahre lang hat Werner Döring bei den Hofer Symphonikern die erste Geige gespielt, davon war er 43 Jahre Konzertmeister. Wie nur wenige andere hat er die Geschichte des Orchesters miterlebt.

Es ist irgendwann im Jahr 1953, als Werner Döring auf seinem Fahrrad die „Brücke der Einheit“ überquert. Jene Brücke, die zu dieser Zeit nicht nur Potsdam mit West-Berlin, sondern zwei Welten verbindet – aber auch fundamental trennt. Hinter dem 18-Jährigen liegen eine exzellente Ausbildung an der Mendelssohn-Bartholdy-Akademie in Potsdam, ein Leben ohne materielle Not, aber gespickt mit ideologisch motivierten Schikanen. Vor ihm liegt völlige Ungewissheit, aber auch Freiheit. Er hat sich für Letzteres entschieden. In dem Rucksack, den er bei sich trägt, befinden sich die einzigen zwei Gepäckstücke, die er für diese Reise mitgenommen hat: Konzertfrack und Geige. Als ihn die sowjetischen Grenzposten kontrollieren, gibt er vor, eine Verwandte im Westen hätte Geburtstag. Er wolle ihr ein Ständchen spielen und abends wieder nach Potsdam zurückkehren. Die „Brücke der Einheit“ misst 177,32 Meter. Eine lange Strecke, wenn man nicht weiß, wohin der Weg führt.
Werner Döring wird 1935 in Leipzig in eine musikalische Familie hineingeboren. Der Vater ist passionierter Hobby-Geiger. Der Großvater spielt das Bandoneon. Bereits mit fünf Jahren bekommt Werner Döring privaten Violinunterricht. Schon früh wird das Talent offensichtlich. 1950 melden die Dörings ihren Sohn an der Mendelssohn-Bartholdy-Akademie in Potsdam an. Ein Internat, in dem das Nachwuchstalent in Geige, Klavier, Trompete und Tenorhorn ausgebildet wird. Schon als 16-Jähriger glänzt er als Konzertmeister des Akademie-Orchesters. Noch während der Schulzeit erhält der Jugendliche, gemeinsam mit drei weiteren Schulkameraden, ein gut bezahltes Engagement am renommierten Hans-Otto-Theater in Potsdam. Die Schuldirektorin unterstützt die vier Nachwuchs-Musiker nach Kräften. Sie bekommen frei, wenn sie zu Proben oder Aufführungen müssen – und sie erhalten sogar einen Schlüssel, wenn es abends mal spät werden würde. „Extrawürste“, die den örtlichen FDJ-Funktionären kräftig gegen den Strich gehen. Schon bald haben die vier Musiker unter strengen Repressalien zu leiden. Die Auftritte im Theater werden untersagt. Döring, der zweite Violinist, der Bratschist und der Cellist, beschließen, in einer geheimen Nacht und Nebel-Aktion aus dem Regime auszubrechen. Das Ziel: West-Berlin. Die Flucht gelingt. Werner Döring besteht die Aufnahmeprüfung für Geige und Klavier am Städtischen Konservatorium Berlin. 1958 folgt das Examen. Ein Meilenstein, aber auch ein Knotenpunkt in seinem Leben, an dem der weitere Weg mal wieder völlig ungewiss ist. Er bewirbt sich „in der Provinz“, in der Hoffnung, noch etwas „professionelle Reife“ zu erlangen, bevor es an die „großen“ Konzerthäuser gehen könne.
„Rückblickend weiß ich, dass die Hofer Symphoniker, für mich als damals jungen Musiker, das Beste waren, was mir passieren konnte.“

„These boots are made for walking…“: Der Musiker ist seit Jahren passionierter und vielfach ausgezeichneter Langstreckenläufer. Hier präsentiert er nur eine kleine Auswahl seiner Laufschuh-Sammlung. Fotos: Sabine Raithel (2), Archiv Hofer Symphoniker (1)

„These boots are made for walking…“: Der Musiker ist seit Jahren passionierter und vielfach ausgezeichneter Langstreckenläufer. Hier präsentiert er nur eine kleine Auswahl seiner Laufschuh-Sammlung.
Fotos: Sabine Raithel (2), Archiv Hofer Symphoniker (1)

Werner Döring sitzt auf dem Sofa in seinem Musikzimmer. Noch immer wohnt er in dem gleichen pittoresken Hofer Stadthaus, in dem er sich vor 57 Jahren zunächst nur ein kleines Zimmer leistete. Der Notenständer, eine kleine Sammlung von Violinen und zahlreiche Fotos erinnern an Beruf und Berufung, Passion, Leidenschaft, Erfolge, an ein Leben für und mit Musik. Wenn man ihn so ansieht, mag man nicht glauben, dass er in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte. Er wirkt deutlich jünger. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, ob das die Auswirkungen der Musik sind. Schließlich hat die moderne Wissenschaft längst bestätigt, dass die Resonanz der Körperzellen auf Musik überaus heilsam und regenerierend ist. Vermutlich ist es die Kombination mit Dörings zweiter Leidenschaft, dem Langstreckenlauf, die sich wie ein Jungbrunnen auswirkt. Dabei war das Leben eines Musikers in Hof alles andere als bequem oder gar luxuriös. Die Bezahlung rangierte in den ersten Jahren noch unter der untersten Stufe des Tarifvertrages für Musiker in Kulturorchestern. Dem Orchester fehlten schlichtweg die Mittel. Eine mehrmonatige Verpflichtung als Kurorchester in Bad Kissingen sollte neben der Kurmusik in Bad Steben und der musikalischen Begleitung des Städtebundtheaters Hof finanzielle Entlastung bringen. „Wir haben von Mai bis August in den Kurbädern gespielt. In Bad Kissingen haben wir viermal am Tag konzertiert. Dazu kamen noch die großen Konzerte, z. B. an den Wochenenden. Von September bis Ende April waren wir dann wieder in Hof und haben Konzerte in der Region gegeben.“ Von Beginn seiner Hofer Zeit an gibt Werner Döring Musikunterricht: private Einzelstunden, aber auch als Lehrkraft am Hofer Reinhart-Gymnasium. Einige seiner Schüler hat er bis ins Hochschulstudium begleitet; einige spielen heute selbst in Philharmonieorchestern, manche sind Musiklehrer geworden.
Bei den Symphonikern erklimmt Werner Döring schon 1962 die ersten Stufen der Karriereleiter: Zunächst übernimmt er die Stelle des zweiten Konzertmeisters; 1964 wird er zum ersten Konzertmeister ernannt und wird es bis zu seiner Pensionierung bleiben. Als „Primus inter pares“ aller Streicherstimmführer ist der Konzertmeister auch Bindeglied zwischen dem Dirigenten und dem Orchester. Er transformiert die klanglichen Vorstellungen des Dirigenten in instrumental-praktikable Bewegungsabläufe und trägt bei den Entscheidungen unter anderem zu Phrasierung, Stricharten, Legatobindungen und Lautstärke hohe Verantwortung. Der Konzertmeister repräsentiert „sein Orchester“ nach innen und außen. Er ist so etwas wie der „Ombudsmann“ für die Musiker, Ansprechpartner in allen Lebenslagen, hilfreicher Kumpel und Beichtvater in einem.
„In den ersten Jahren sind wir mit alten, klapprigen Bussen zu den Konzerten in der Region gefahren. Ich erinnere mich daran, dass der Bus einmal mitten im Winter die Rückfahrt kurz vor der Autobahnabfahrt ‚verweigerte‘ und wir durch Eis und Schnee, über die Fahrbahn nach Hause liefen.“ Wirklich frustriert haben ihn solche Episoden nie. Dafür war die Liebe zur Musik immer zu groß. „Als Wilfried Anton 1965 die Intendanz der Symphoniker übernommen hat, wurde eine Trendwende eingeläutet. Wirtschaftlich, aber auch künstlerisch. Die Hofer Symphoniker verdanken ihm ihre Existenz und letztlich ihren Erfolg. Er hatte ein strenges Auge darauf, dass die Qualität des Personals, der Musiker und der Dirigenten hochgehalten und stetig verbessert wurde.“

Konzertauftritt in den frühen 1980er Jahren: Konzertmeister Werner Döring am ersten Pult.

Konzertauftritt in den frühen 1980er Jahren: Konzertmeister Werner Döring am ersten Pult.

Werner Döring hat von Werner Richter-Reichhelm über Peter Richter de Rangenier, Klaus Volk, Lutz Herbig, Jaroslav Opela, Gilbert Varga, Sergio Cardenas, Hikotaro Yazaki, Golo Berg bis zu Daniel Klajner und Ehrendirigent Enoch zu Guttenberg mit nahezu allen Chefdirigenten und Gastdirigenten seit Bestehen der Hofer Symphoniker zusammengearbeitet. Eine ganze Wand im Haus von Familie Döring ist mit gerahmten Erinnerungen aus dem beruflichen Leben von Werner Döring versehen: Fotos von Konzerten, namhaften Solisten und Dirigenten. „Ohne meine Frau, die mir immer den Rücken freigehalten hat, und das tiefe Verständnis unserer Tochter hätte ich diesen Weg nicht gehen können“, sinniert er. Dem Dirigenten Werner Richter-Reichhelm habe er sehr viel zu verdanken und ihn habe er immer sehr verehrt, betont Döring. Gilbert Varga sei für ihn als Konzertmeister ein beruflicher Höhepunkt gewesen. „Varga war vor seiner Laufbahn als Dirigent selbst Streicher. Er weiß exakt, was zu tun ist und wo Verbesserungspotenzial besteht. Er arbeitet akribisch genau, bis ins Detail. Mit ihm zusammenzuarbeiten war durchaus hart – aber auch sehr erfolgreich. Ich habe viel von ihm gelernt.“ Ins Schwärmen kommt er, wenn er an das Verdi-Requiem denkt, das er mit dem Orchester unter dem Ehrendirigenten Enoch zu Guttenberg gespielt hat. Dankbar sei er für die vielen interessanten, internationalen Musikerkollegen, die er kennenlernen und mit denen er arbeiten durfte. Große Namen von Weltrang waren dabei, wie Yehudi Menuhin, José Carreras oder Hilary Hahn – und so viele mehr. Aber „Namedropping“ ist nicht sein Ding. Wichtig sei das Können. Worin sich die Hofer Symphoniker von anderen Orchestern unterscheiden? „Nun, wir spielen nicht nur auf dem Podium, sondern auch darunter, im Orchestergraben. Es ist diese ganze Bandbreite vom klassischen Sinfoniekonzert bis hinzu Oper, Operette und musikalischer Umrahmung von Theaterstücken, die den Reiz ausmachten.“ Dann fällt ihm auf, dass er, obwohl er den Geigenbogen bei den Symphonikern längst aus der Hand gelegt hat, immer noch „wir“ sagt. Nach seiner Pension hat er zwar den Status des Konzertmeisters abgegeben, aber bis zu seinem 70. Geburtstag doch noch mit Leidenschaft wahlweise die 1. oder 2. Geige gespielt. Noch heute spielen die Symphoniker aus Noten, die Werner Döring eingezeichnet und signiert hat. Zu seinem 80. Geburtstag seien die Kollegen zu ihm nach Hause gekommen und haben für ihn gespielt. Er lacht: „Einmal Symphoniker, immer Symphoniker.“                                                 Sabine Raithel

Das aktuelle Heft
Archiv