„Advent“, lateinisch, heißt auf Deutsch „Ankunft“.
Und wie sie ankommen, wenn sie überhaupt ankommen! Über das Mittelmeer, über die sogenannte Balkan-Route, zum Teil ausgemergelt, hungrig, verlottert, durchnässt, verfroren, vielfach angefeindet, inzwischen nirgends mehr willkommen. Darunter viele Kinder!
Und das geschieht in der Adventszeit, die in unserem Land traditionsgemäß eine stille und besinnliche Zeit sein soll, mit vier Kerzen auf dem Kranz, und jeden Sonntag kommen wir dem Weihnachtslicht, dem Kind in der Krippe, eine Kerze näher…
Es passt alles nicht zusammen. Unsere Welt – Gottes Welt! – ist zerrissen. Wahrscheinlich erleben wir tatsächlich einen Zeiten-Umbruch. Und derweil haben wir am Ende des Kalten Krieges gemeint, nun hört die Weltgeschichte eigentlich auf im großen Weltfrieden.
Es schadet nicht, vielleicht hilft es sogar diesem oder jenem, wenn wir uns an biblische Szenen von Flucht, Heimatlosigkeit und Vertreibung erinnern. Denn diese gab es von Anbeginn der Welt an:
Es beginnt schon mit der mythologischen Erzählung, dass Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden – von Gott persönlich. Aber er sorgte immerhin für ein Überleben „jenseits von Eden“. Mancher wird sich auch noch daran erinnern, dass das Volk Israel vierzig Jahre in der Wüste herumgeirrt ist, auf der Flucht vor einem tyrannischen Pharao, – dann erst hatte es sein eigenes Land. „40 Jahre“, das war in der Regel die Lebenszeit eines Menschen, einer Generation. Dann im 7./6. Jahrhundert v. Chr. wurden sie nach Babylon vertrieben, immerhin 70 Jahre, zwei bis drei Generationen lang mussten sie dort bleiben.
Und schließlich die Weihnachtsgeschichte. Wir haben von diesem Geschehen viel zu idyllische Bilder im Kopf. Zwar war es nicht ganz selten, dass arme Frauen ihr Kind in einem Stall geboren haben, – immerhin war es dort leidlich warm. Trotzdem war die Krippe etwas anderes als ein Kinderbett in einem bürgerlichen Haus, von einem Palast ganz zu schweigen. Aber darauf konnte der große Kaiser Augustus keine Rücksicht nehmen, schließlich brauchte er für eine Steuerschätzung möglichst genaue Unterlagen über die Anzahl seiner Untertanen. Ein paar Wochen später befürchtete der Kleinkönig Herodes, ihm könnte ein Konkurrent erwachsen, als die sogenannten Weisen aus dem Morgenland ihm von der Geburt eines „Königs“ berichten, wie sie es ihren astrologisch-astronomischen Studien entnommen hatten. Deshalb befahl er, alle Knaben unter zwei Jahren vorsichtshalber töten zu lassen. Als Joseph davon durch einen Traum erfuhr, nahm er seine Verlobte Maria und das Kind Jesus und floh nach Ägypten – wie wahrscheinlich viele israelitische Eltern mit ihren Kindern auch. Verwandte hatte er dort nicht. Er schlug sich halt einigermaßen als Zimmermann so durch, bis Herodes gestorben war.
„In der Bibel sind Geschichten von Flucht immer Heils-Zeiten“
Wir sind bei Weihnachten angekommen, zumindest in unserer Bibelschau.
Auf welcher Seite stehen wir, wenn wir diese Geschichten bedenken, vielleicht sogar mit einer gewissen inneren Bewegung? Können wir es uns vorstellen, dass wir da rufen: „Flüchtlinge raus!“? In der Bibel sind alle Geschichten von Flucht und Heimatlosigkeit immer auch Heils-Zeiten, Segens-Zeiten. Nicht direkt natürlich, die Menschen haben furchtbar gelitten. Aber Gott war ihnen und sie waren Gott in solchen Zeiten näher als in ruhigen Zeiten. Wenn wir selber „aufgebrochen“ werden, seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht werden, ganz auf Gott angewiesen sind, dann spüren wir – wahrscheinlich und vielleicht erst viel später – , was sich da in und mit uns abgespielt hat. Denn dann sind wir verändert und hören vielleicht sogar den Gesang der Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden (!) auf Erden und den Menschen sein Wohlgefallen.“
Ihr
Dr. Friedrich Sticht
Pfarrer i. R.