„La table – der Tisch; le cheval – das Pferd…“ So mancher Schüler stöhnt beim Französischlernen, weil zu jedem Substantiv ein Artikel zu lernen ist – und denkt gar nicht darüber nach, dass seine deutsche Muttersprache nicht weniger schwierig ist. „Das Regal – die Regale; der Stuhl – die Stühle; der Fernseher – die Fernseher“ deklamiert eine Gruppe Flüchtlinge in der Lutherschule in Münchberg. „Gibt es keine Regeln?“, fragt ein junger Mann ungläubig. „Nein, das musst du lernen und immer wieder üben“, lautet die wenig befriedigende Antwort der Lehrerin Annalena John.
Annalena John und ihre Kollegin Mirijam Weber sind Lehramtsantwärterinnen, die zusammen mit acht weiteren angehenden Lehrern und ihren beiden Seminarrektoren in Münchberg ehrenamtlich Deutsch-Unterricht für Flüchtlinge geben. Die Idee dazu stammte von Seminarrektor Hans Kraus. Kraus wiederum hatte eine E-Mail von Katharina Spieler von der Volkshochschule Landkreis Hof (VHS) bekommen, die ehrenamtliche Lehrkräfte für solche Kurse suchte.
„Ich wollte mich da gerne einbringen“, erzählt Kraus. „Aber zeitlich war mir das alleine nicht möglich.“ So kam der Lehrer auf die Idee, die Anwärter in seinem Seminar zu fragen, ob sie mithelfen möchten. Von der positiven Resonanz war er selbst überrascht. Weil sich der Kurs, der drei Mal wöchentlich 90 Minuten dauert, nun auf so viele Schultern verteilt, können sich die Lehramtsanwärter trotzdem ausreichend gut auf ihre Prüfungen konzentieren. Die VHS kümmert sich um alle organisatorischen Belange, Räumlichkeiten stellt die Stadt Münchberg zur Verfügung, und der Hueber-Verlag spendete allen Lehrkräften ein kostenloses Exemplar des Lernheftes.
Acht bis 15 Teilnehmer aus dem Iran, Russland oder Syrien lernen nun seit Januar in Münchberg bei der Truppe junger Lehrer Deutsch, die turnusmäßig unterrichten und sich über ein Online-Portal untereinander über den aktuellen Lernstand und Fragen der Kursteilnehmer auf dem Laufenden halten. Der jüngste Teilnehmer ist zehn Jahre alt, die ältesten zirka 50 bis 60 Jahre. Sich zu verständigen ist da gar nicht so einfach. „Das ist ein Problem, das wir absolut unterschätzt haben“, gibt Kraus zu. Denn viele der Flüchtlinge kannten noch nicht einmal die lateinische Schrift. „Das ist für uns, als müssten wir plötzlich in arabischer Schrift schreiben.“
Bis zum Kursende sollen alle Flüchtlinge das „Niveau A1“ erreicht haben: sich vorstellen, einfache Sätze sprechen, auf eingeübte Fragen antworten, Wohnung, Uhrzeit und Zahlen kennen. Mit bloßem Vokabeln-Pauken ist es nicht getan. Wichtig ist auch der Bezug zum täglichen Leben. „Wir versuchen beispielsweise auch zu vermitteln, zu wem man ,Servus‘ sagen darf, und wo ein,Guten Tag‘ oder ,Grüß Gott‘ wichtig ist.“
An Begriffen wie „Grüß Gott“ oder am pünktlichen Erscheinen zum Unterricht offenbaren sich nicht selten auch Kultur-Unterschiede, die einer Erklärung bedürfen. Seit die Kursteilnehmer erfahren haben, dass Pünktlichkeit in Deutschland eine wichtige Tugend ist, kommen alle immer rechtzeitig. Zuvor war ihnen das einfach nicht bewusst. „So reflektiert man sich auch selbst im Kontakt mit anderen Kulturen“, sagt Hans Kraus. „Und es ist persönlich bereichernd, auch mal über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken“, ergänzt Annalena John. Ihre Kollegin Mirijam Weber hat bereits erfahren, wie es ist, plötzlich ein Kind in der Schulklasse sitzen zu haben, das kein Wort Deutsch spricht: „Nun weiß ich viel besser, wie ich damit umgehen kann, und habe ein schönes Buch an der Hand, aus dem ich einem solchen Kind kleine Aufgaben geben kann.“
Lehrer, Polizisten, Apotheker oder Makler sind es beispielsweise, die sich nachmittags in Münchberg an den Schulbänken mit der deutschen Sprache mühen. Keiner von ihnen bedient das Klischee des ungebildeten Flüchtlings. „Und es ist so schade, dass diese Berufe bei uns nicht anerkannt werden“, sagt Katharina Spieler von der VHS. „Die Menschen müssen bei uns wieder bei Null anfangen.“
Und das nach teilweise traumatischen Erfahrungen auf der Flucht. Einer der Teilnehmer legte hunderte von Kilometern unter einem Lkw zurück, zwischen den Rädern versteckt. Andere saßen auf ihrer Reise lange Zeit in Gefängnissen, weil sie für die Länder, durch die sie flohen, keine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Auch in Deutschland bleibt viel Unsicherheit: Deutschkurse wie den in Münchberg beispielsweise gibt es nur dank des ehrenamtlichen Engagements vieler Bürger. „Fest angestellte und bezahlte Lehrer können wir für solche Angebote nicht einsetzen“, erklärt Spieler. Denn für neu eingetroffene Flüchtlinge stehen den Bildungsträgern bisher keine Fördermittel zur Verfügung. Erst als so genannte „anerkannte Flüchtlinge“ haben sie unter Umständen Anspruch auf einen Integrationskurs. Deutschkurse wie der in Münchberg können und wollen dazu in keiner Konkurrenz stehen.
Und doch sind sie so wichtig für die Flüchtlinge, um sich in einer völlig neuen Welt und Sprache zurechtzufinden. Man merkt den hoch motivierten jungen Männern in der Lutherschule an, wie froh sie sind, einander zu treffen, Kontakt zu Deutschen zu haben und Neues über die deutsche Sprache zu lernen. Auch wenn sie dabei über echte Zungenbrecher wie das Wort „Wohnung“ stolpern, und zu jedem Substantiv auch noch einen Artikel und den Plural auswendig lernen müssen. Hans Kraus, Annalena John, Mirijam Weber und ihre Kollegen hoffen derweil, dass sich auch in anderen Bereichen noch mehr Menschen finden, die sich sagen: „Ich möchte wenigstens einen kleinen Beitrag leisten.“
Text und Fotos: Sandra Langer